Als Vorstandschef der IVU Traffic Technologies AG beschäftigt sich Martin Müller-Elschner tagtäglich mit der Organisation von Verkehr in Städten. Denn sein Unternehmen entwickelt Programmmodule, die Einsatzpläne für Omnibusse, Straßenbahnen oder Lokomotiven und für das dazugehörige Personal erstellen. Er weiß: Berlin hat im internationalen Vergleich einen beneidenswert guten öffentlichen Personennahverkehr. Allerdings muss sich die die wachsende Stadt schon heute auf künftige Herausforderungen einstellen.
Kontaktieren Sie unsere IHK-Experten

Berliner Wirtschaft: Wenn Sie Ihre Kunden hier in Berlin an Ihrem Stammsitz empfangen: Verweisen Sie dann gern oder nicht so gern auf den öffentlichen Personennahverkehr in der Bundeshauptstadt?
Martin Müller-Elschner: Wir haben immer das Ziel gehabt, auf Berlin als Referenz verweisen zu können. Wir wollen anhand von Berlin zeigen, was wir machen und was wir können. Deswegen haben wir schon sehr früh gesagt: Die BVG muss unser Kunde sein.
Und ist die BVG Ihr Kunde?
Ja, die BVG ist ein sehr wichtiger Kunde. Und das schon seit über 30 Jahren. Unsere Produktsuite, mit der wir den gesamten Workflow eines Verkehrsbetriebes organisieren können, wird in sehr großen Teilen von der BVG genutzt. Für jeden Bus- und U-Bahn- oder Straßenbahnfahrer und auch für jedes Fahrzeug wird die Einsatzplanung mit unserer Software gemacht. Wir kümmern uns auch um die Daten für die elektronischen Hinweistafeln, mit denen die Ankunftszeiten der nächsten Busse und Trams angezeigt werden. Deshalb ist Berlin für uns ein wichtiger Showcase.
Stört Sie an diesem Showcase nicht die eine oder andere Verspätung oder überfüllte U-Bahn?
Also zunächst kann ich Ihnen versichern, dass sehr viele Delegationen aus fernen Ländern nach Berlin kommen, um zu sehen, wie angenehm öffentlicher Nahverkehr in einer Metropole sein kann. Oft sind sie ganz begeistert von Dingen, die für uns ganz selbstverständlich sind. Das Ticketing zum Beispiel: In Bangkok wird jede Linie von einem anderen Unternehmen betrieben. Bei jedem Umstieg müssen Sie also einen neuen Fahrschein lösen. Und steigen Sie mal in die Pariser Metro oder die Londoner Underground – die sind auch nicht gerade leer.

Aber gibt es nicht auch Städte, die es noch besser machen als Berlin?
Vom öffentlichen Nahverkehr in der Schweiz kann sich vielleicht auch Berlin noch etwas abgucken – ich denke zum Beispiel an Zürich. Die Pünktlichkeit dort ist wirklich beeindruckend. Es gibt auch weniger Zugausfälle. Singapur hat ebenfalls einen vorbildlichen Nahverkehr. Ich glaube, dass auch in Paris oder London die Verkehrsunternehmen großartige Arbeit leisten. Das sind Metropolen, die noch einmal deutlich größer sind als Berlin und noch größere Herausforderungen zu meistern haben. Dorthin müssen wir gucken, wenn wir wissen wollen, was in Berlin wohl künftig zu bewältigen ist.
Wird das Angebot an ÖPNV in Berlin also zu langsam ausgebaut?
Ich glaube, dass die Infrastruktur weitestgehend ausreichend ist. Noch sind wir in dieser Hinsicht nirgends so richtig an der Kapazitätsgrenze. Das ist natürlich gut, weil der Bau neuer Strecken und Tunnel besonders teuer ist. Im Moment geht es eher um smarte Lösungen, mit denen die Effizienz gesteigert werden kann. Außerdem sind Takterhöhung, Taktverdichtung, mehr Fahrzeuge und freie Busspuren geeignete Maßnahmen, um Engpässen in hoch belasteten Abschnitten und Spitzenzeiten zu begegnen.
Auch das kostet Geld.
Ein gewisser Investitionsstau ist unverkennbar. Es gibt Städte, in denen mehr Geld in den ÖPNV investiert wird und auch mehr unpopuläre Maßnahmen zur Zurückdrängung des Individualverkehrs umgesetzt werden. Bei Investitionen in das Material und in Sanierungen muss Berlins ÖPNV einen Rückstand aufholen, das spüren wir jetzt an den diversen Baustellen. Das sind Versäumnisse aus den letzten 20 bis 30 Jahren, die wir jetzt ausbaden. Aber nochmal: Berlins ÖPNV ist für viele Städte die Benchmark, auch was die Dichte und das Angebot anbelangt.
Die Stadt müsste also nicht nur mehr Geld in die Hand nehmen, sondern auch mehr regulieren, oder?
In Deutschland und speziell in Berlin wird der öffentliche Personennahverkehr nicht allein als kommerzielles Geschäft verstanden, sondern als ein Teil der Daseinsvorsorge. Und gleichzeitig als Bekenntnis zu einer umweltgerechten Mobilität. In einer wachsenden Stadt wie Berlin geht es um die Organisation des gesamten Umweltverbunds – also Fußweg, Fahrrad, Carsharing, ÖPNV. Es geht vor allem darum, auch auf der letzten Meile möglichst auf das eigene Auto verzichten zu können. Und ja, dazu bedarf es natürlich regulatorischer Maßnahmen.

Welche Vor- und Nachteile hat der Standort Berlin für das Unternehmen IVU?
Nachteile fallen mir im Moment gar nicht ein. Den größten Vorteil sehe ich darin, dass der Standort Berlin sich bei der Gewinnung von neuen Mitarbeitern immer wieder als sehr vorteilhaft erweist. Wir schaffen es sehr gut, junge Menschen, die in Berlin studiert haben, in der Stadt zu halten und auch Absolventen aus anderen Städten anzulocken. An anderen Standorten ist das sehr viel schwerer. Auch die steigenden Mieten in Berlin können das bislang nicht stoppen. Im Jahr 2018 haben wir immerhin über 50 neue Mitarbeiter einstellen können.
Das spricht nicht nur für Berlin, sondern auch für die IVU. Womit können Sie Bewerber überzeugen?
Wir bieten inhaltlich spannende Themen wie Mobilität und Smart City, die außerdem für Klimaschutz und Nachhaltigkeit stehen und eine hohe Wertschätzung genießen. Außerdem lieben Ingenieure diese sehr komplexen Aufgabenstellungen, die wir zu bieten haben. Unsere Lösungen müssen sich an den Fahrplan halten, die Verfügbarkeiten des Personals und der Fahrzeuge berücksichtigen. Andere Branchen planen schlicht in zwei oder drei Schichten, und fertig. In einem Verkehrsbetrieb hat jeder Fahrer an jedem Tag seinen eigenen Einsatzplan.
Bald wird es noch komplexer, wenn Sie Ladezeit und Reichweite von E-Bussen berücksichtigen müssen.
Ja, herrlich. Komplexität ist unser Lebenselixier. Wir leben davon, dass es kompliziert ist. Wäre es einfach, würden Betriebe das mit Papier und Bleistift oder mit Excel selbst machen. Mit dem E-Bus auf einer Straßenkreuzung stehen zu bleiben, ist eine Horrorvorstellung für Verkehrsmanager. Wir müssen daher berechnen, wie sich der Ladezustand der Batterie entwickelt. Das Alter der Batterie, die Verkehrsbedingungen und die Jahreszeit beziehen wir ein. Ladezeiten müssen geplant werden: Die Busse können nicht alle gleichzeitig an die Steckdose, das wäre zu teuer. Ich schätze, zu rund 80 Prozent haben wir diese Komplexität schon heute im Griff.
Tangiert Sie auch der Fahrermangel?
Das ist ein ganz großes Thema in der Branche und damit auch für uns. Die Fahrer, die man hat, müssen effizienter eingesetzt werden – zum Beispiel indem man ihre Zufriedenheit erhöht und so den Krankenstand senkt. Wir können das durch eine automatische Disposition unterstützen, bei der das Personal selbst Wünsche zu den Schichtlagen eingeben kann, die dann gerecht zugeteilt werden.