Innovationen im Fashion-Bereich

Kreativ im Kreislauf - wie Mode neu gedacht und gemacht wird

Von Massenproduktion zur Kreislaufwirtschaft: In der Microfactory VORN – The Berlin Fashion Hub entsteht Mode auf ganz neue und umweltfreundlichere Weise.

Eine weiße, blonde Frau im schwarzen Kleid

Marte Hentschel, Vorständin von VORN – The Berlin Fashion Hub

Was mit einer Studie im Jahr 2018 begann, hat mit einer Teilsperrung der Budapester Straße im Jahr 2024 seinen vorläufigen Höhepunkt gefunden. Und was das mit Mode, Technologie, Nachhaltigkeit, drei Strickmaschinen, einem „Code of Honour“ und einer engagierten Community zu tun hat – das ist die Geschichte von VORN – The Berlin Fashion Hub: einer Genossenschaft, beheimatet im Bikini-Haus und angetreten, „um eine nettopositive Modewirtschaft zu gestalten“. So erklärt Mitgründerin und Vorständin Marte Hentschel das langfristige Ziel der Community, denn: „Nachhaltiges Wirtschaften – ökologisch, ökonomisch und sozial – soll sich für alle lohnen.“ Bis dahin, und das ist ihr durchaus bewusst, ist es zwar noch ein weiter Weg, aber eine nicht unerhebliche Teilstrecke hat sie mit ihrem Team bereits geschafft. 

Auf Basis einer im Jahr 2018 positiv beschiedenen Machbarkeitsstudie, ob Berlin einen Fashion Hub braucht, gründete sich eine Arbeitsgemeinschaft mit den Nachhaltigkeits-Visionären Magdalena Schaffrin und Max Gilgenmann (Studio MM04, Neonyt – nachhaltige Modemesse), Andreas Krüger (Belius GmbH, IHK-Projekt „100 Meter Zukunft“) und Marte Hentschel. Dank der Beauftragung durch die Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe folgte 2022 die Geburtsstunde der Genossenschaft VORN mit zunächst zehn und heute mehr als 250 Community-Mitgliedern. Dazu gehören Marken, Start-ups, Softwareentwickler, Universitäten, Forschungsinstitute, Faser-Hersteller, Maschinenbauer und auch Konzerne wie Zalando oder Otto Bock. Ziel ist es, Innovationen für eine nachhaltige Entwicklung zu fördern, zu skalieren und zu kommunizieren. Dies geschieht durch vier Programme: Community Services, Co-Working-Space, Innovation Lab und Skalierungsprogramm. Dazu gibt es einen Event-Space mit angeschlossenen, öffentlichen Verkaufsflächen. 

Nachhaltiges Wirtschaften – ökologisch, ökonomisch und sozial – soll sich für alle lohnen.“
Marte Hentschel Vorständin VORN - The Berlin Fashion Hub

Wissen vermitteln und das gemeinsame „Wir“ bestimmen dabei die Abläufe: „Kein Unternehmen kann in der Kreislaufwirtschaft allein effizient agieren“, erklärt Hentschel, die zusammen mit Oliver Lange heute das operative Geschäft von VORN lenkt. „Es gibt viele Teillösungen, aber sie sind noch nicht miteinander verbunden. Hier setzen wir an, und nur so kann eine Transformation gelingen.“ Dazu gehört auch die im Jahr 2022 von VORN und Zalando ins Leben gerufene Design Academy, bei der jährlich für eine etwa sechsmonatige Ausbildung 100 Talente in einem Bewerbungsverfahren ausgewählt werden, um nachhaltige und innovative Lösungsansätze für die Modewirtschaft zu finden. Die Finalisten präsentieren ihre Kreationen während der Berlin Fashion Week.

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Für die Mitgliedschaft in der Community von VORN sind ein monatlicher Beitrag und der Bezug zu Mode aus den unterschiedlichen Blick- und Produktionswinkeln Voraussetzung sowie die Zustimmung zum „Code of Honour“. Das bedeutet: „Wir wollen die Werte, für die wir stehen, nicht nur vermitteln. Sie sollen von unserer Community verinnerlicht werden und sich im Bewusstsein jedes Einzelnen manifestieren“, so Hentschel. 

Um diese Werte in die Praxis umzusetzen, bedarf es auch logistischer Glanzleistungen, wie der nächtlichen Teilsperrung der Budapester Straße, um drei mehrere Tonnen schwere mit digitalen Design- und Steuerungssystemen kombinierbare Strickmaschinen in den VORN-Räumlichkeiten aufzubauen. Es entstand ein neues Haus im alten Haus, und in der sogenannten „Microfactory“ können jetzt Designer nach einer Schulung von Bodywear bis zum Strickpullover in Echtzeit produzieren. Eine digitale Materialbibliothek hilft bei der Auswahl, über eine 3D-Designsoftware können virtuelle Prototypen zunächst erstellt und optimiert werden. Anschließend wird das Kollektionsteil direkt von den Maschinen hergestellt. Dadurch kann gezielt auf Bedarf und nicht auf Masse produziert werden – und noch besser: Eine Recyclinganlage ermöglicht zukünftig die Wiederverwendung von Garnen, nicht verkaufte Strickware kann also „zurückproduziert“ werden. Für Hentschel steht die „Microfactory“ für einen Paradigmenwechsel in Sachen Nachhaltigkeit: „Es heißt jetzt nicht mehr: erst herstellen und dann verkaufen, sondern: erst verkaufen und dann herstellen.“ Für die Kaufentscheidung reiche ein gutes Bild des virtuellen Prototyps. 

Überhaupt ist die Förderung der Kreislaufwirtschaft ein zentrales Anliegen von VORN. Hentschel sieht die größte Herausforderung in der Entwertung und kurzen Lebensdauer von Produkten aufgrund massiver Überproduktion. „In den letzten 20 Jahren hat sich der Konsum verdoppelt, während der Preis und die Nutzungsdauer halbiert wurden“, erklärt sie. „Jeder europäische Bürger erzeugt durchschnittlich 15 Kilogramm Textilmüll pro Jahr, wobei weniger als ein Prozent recycelt wird.“