Janina Mütze, Civey GmbH

Vielfalt in Unternehmen: „Diversity hat ein gewisses Triggerpotenzial“

Diversity ist in Meinungsumfragen der Civey GmbH immer wieder ein Thema. Co-Gründerin Janina Mütze beobachtet aber, dass die Bedeutung von Vielfalt in Krisenzeiten abnimmt. Lesen Sie hier vorab das Titelinterview der aktuellen Ausgabe der „Berliner Wirtschaft“.

Eine Person mit verschränkten Armen trägt ein kurzärmliges, gemustertes Hemd mit grünen Pflanzenmotiven auf einem hellen Hintergrund.

Civey-Geschäftsführerin Janina Mütze

Vor zehn Jahren hat Janina Mütze zusammen mit Gerrit Richter die digitale Markt- und Meinungsforschung Civey gegründet. Mittlerweile gehört auch die Beratung von Unternehmen auf Basis der Umfrageergebnisse zum Geschäftsmodell. Auch zum Thema Diversity schätzen die Kunden die Expertise der Datenexperten. 


Was bedeutet Ihnen das Thema Vielfalt in Unternehmen? 

Es ist mir, aber auch unserer gesamten Geschäftsführung ein wichtiges Anliegen, Vielfalt in unserem Unternehmen zu leben. Ebenfalls sehr wichtig ist für uns, dass unsere Kunden großes Interesse an dem Thema haben. Diversität hat eine hohe Relevanz, sowohl in gesellschaftlicher Hinsicht als auch ganz konkret in den Unternehmen. Deshalb führen wir regelmäßig Studien zu diesem Thema durch und publizieren auch dazu – gerade jetzt. 
 

Warum gerade jetzt?

Wir spüren aktuell sehr deutlich die Sorge, dass alles, was beim Thema Vielfalt, Gleichheit und Inklusion über Jahre hinweg erarbeitet wurde, mit einer Rolle rückwärts wieder abgewickelt wird – was wir in den USA ja schon sehen. Aber auch in Deutschland sind wir nicht immun gegen Backlashes, was wir unter anderem in einer Unternehmensstudie gemeinsam mit der TU Dresden jüngst festgestellt haben. Deshalb ist das eine Phase, in der es sich besonders lohnt, hinzuschauen, was passiert, und zu sagen: Irgendetwas stimmt doch hier nicht. 


Was stimmt denn nicht?

Es gibt Unternehmen in Europa – auch in Deutschland –, die ihre Diversity-Programme bereits zurückfahren. Allerdings ist kein gesellschaftlicher Sturm der Entrüstung wahrzunehmen. Wir müssen uns also fragen, welchen Stellenwert Vielfalt in der Breite der Gesellschaft tatsächlich hat.


Und wie lautet Ihre Antwort?

In der breiten Gesellschaft, aber auch auf der Ebene vieler Unternehmensentscheiderinnen und -entscheider ist die Diskussion um Vielfalt, Gleichheit und Inklusion an vielen Stellen als überzogen wahrgenommen worden. Und in den Unternehmen ist es auch nicht gelungen, auf diesem Weg alle mitzunehmen. Jetzt gilt es, aufzupassen, dass nicht alles, was im Rahmen von Diversitätsprogrammen erreicht wurde, kaputt gemacht wird – auch wenn hier und da Programme abgebaut werden.
 

Frau mit langen, braunen Haaren, gekleidet in ein grünes, gemustertes Hemd, steht mit verschränkten Armen vor einem modernen, hellen Raum mit Pflanzen und einem 'Clever'-Schild im Hintergrund.

Bietet neben Markt- und Meinungsforschung heute auch Unternehmensberatung an: Janina Mütze

Für den Abbau haben Sie Verständnis?

Es geht mir eher darum, die Kommunikation rund um das Thema Vielfalt, Gleichheit und Inklusion in den Unternehmen zu verbessern. Es ist nun einmal so: Das Thema Diversity hat ein gewisses Triggerpotenzial für einzelne Personengruppen. In der Anhängerschaft der AfD ist Diversity definitiv ein Politikum. Aber auch bis in die Mitte der Gesellschaft hinein wird gesagt: Da wurde auch ein bisschen übertrieben. Deshalb ist es jetzt ganz wichtig, genau zu reflektieren, was eigentlich mit Diversitätsprogrammen erreicht werden sollte und inwiefern das Thema für Firmen ein strategisches Ziel ist.


Warum halten Sie diese Reflexion für so wichtig? 

Weil sie hilft, die Kommunikation zu verbessern. Mit Diversitätsprogrammen können sehr gezielt Schwachstellen im Unternehmen abgebaut werden – beispielsweise die Überalterung der Belegschaft. Mithilfe solcher Programme können Unternehmen auch der Herausforderung begegnen, neue Talente für sich zu gewinnen und ins Unternehmen zu integrieren. Dahinter stehen wichtige und klare ökonomische Ziele, die auch kommunikativ stärker in den Vordergrund gestellt werden sollten.
 

Können Unternehmen sich nicht einfach aus Haltung und Verantwortung für Vielfalt einsetzen?

Mit dem Motiv der Verantwortung engagieren sich Unternehmen auch für andere Themen wie Demokratie und Nachhaltigkeit. Aber unsere Studien zeigen immer wieder, dass es Unternehmen in Zeiten der Wirtschaftskrise besonders um Kosteneffizienz und Prozessoptimierung geht, also um ökonomische Ziele. Ich glaube, beides muss im Einklang sein.


Ist das Thema Diversity unwichtiger geworden?

Nein, aber andere Themen haben an Bedeutung gewonnen. Es sind meist nur die Top-drei-Themen, die in der Öffentlichkeit breite Aufmerksamkeit erfahren, und für das Topmanagement sind es derzeit eher Energiekosten, Bürokratie und Wettbewerbsfähigkeit, die sie umtreiben – also Aspekte, bei denen es um das Überleben der Unternehmen geht.


Welche ökonomischen Ziele werden mit Vielfalt, Gleichheit und Inklusion verbunden?

In erster Linie die Fachkräftesicherung. Außerdem gibt es Studien, die belegen, dass gemischte Teams erfolgreicher sind – das sehen wir auch im Start-up-Umfeld. Andere Untersuchungen haben gezeigt, dass die Belegschaft deutlich zufriedener ist, wenn die Unternehmensspitze divers aufgestellt ist. Mit diesen Argumenten kann Diversity auf sehr viel und sehr breite Akzeptanz stoßen, denn es gibt weiterhin einen Konsens in der Mitte der Gesellschaft, der heißt: Wir wollen unsere Unternehmen zukunftsfest aufstellen. Ungerechtigkeiten, auf der anderen Seite, schwächen die Akzeptanz. 
 

Wir müssen uns fragen, welchen Stellenwert Vielfalt in der Breite der Gesellschaft tatsächlich hat.“
Janina Mütze Geschäftsführerin
Zwei lila Luftballons in Form der Zahl '10' stehen auf einem Regal neben einer großen Monstera-Pflanze und weiteren Pflanzen.

Deko im Civey-Büro: Die Firma hat in diesem Jahr ihren zehnten Geburtstag gefeiert

Woran denken Sie dabei? 

Zum Beispiel an die Besetzung von Führungspositionen. Die Menschen wollen Chancengerechtigkeit und finden die Gleichstellung von Mann und Frau erst mal richtig. Auf politische Einflussnahme wird allerdings oft allergisch reagiert, sie kann schnell als übergriffig wahrgenommen werden. Es ist – wo möglich – immer besser, wenn möglichst viel Entscheidungsfreiheit in den Unternehmen verbleibt.


Heute liefern Sie Firmen mit Ihrer Meinungsforschung Argumente zum Beispiel für Diversitätsprogramme. War das von Anfang an Ihr Ziel?

Nein, das hat sich entwickelt. Als wir Civey gegründet haben, 2015, wollten wir die Meinungsäußerungen im Internet quantifizieren. Es gibt online so viele Meinungen, aber es ist unmöglich, daraus ein valides Abbild des Meinungsspektrums der gesamten Bevölkerung zu erkennen. Es ist eher so, dass die laute Minderheit alles dominiert, die leise Mehrheit wird nicht wahrgenommen. Das heißt: Die Populisten gewinnen oft den Meinungsstreit in sozialen Medien. 
 

Eine Person mit einem grünen, gemusterten Hemd sitzt an einem Tisch mit einem Laptop. Eine andere Person in einem schwarzen T-Shirt spricht und gestikuliert. Im Hintergrund steht das Logo 'Cive'.

Janina Mütze und ihr Mitgründer Gerrit Richter

Können Sie erklären, welche Innovationen Civey als digitale Marktforschung hervorgebracht hat?


Unser Anspruch war es, das Teilnehmerproblem der Branche zu lösen: Wie erreicht man in Zukunft noch Menschen für Markt- und Meinungsforschung? Wer macht noch mit? Wir haben Verfahren entwickelt, mit denen wir online live valide Umfragen erheben können. So bekommen wir in Echtzeit automatisiert repräsentative Ergebnisse. Aber Innovation muss fortlaufend geschehen. Wir sind weiterhin einer der technologischen Vorreiter in der Branche. Dennoch oder gerade deshalb müssen wir uns fortlaufend weiterentwickeln. Derzeit prüfen wir, was uns die KI bringen kann. 


Sie waren 2024 in einem Schutzschirmverfahren in Eigenverantwortung. Wie stehen Sie jetzt da?

Wir sind operativ wieder profitabel und haben uns im Gesellschafterkreis neu aufgestellt. Als Management haben wir größere Teile der Firma zurückgekauft. Die stark von Venture Capital geprägte Phase ist vorbei. Wir agieren mittelständischer und können nun mit mehr Ruhe und nah am Kunden arbeiten. So fühlen wir uns wohl. Unser Team ist heute kleiner. Dass wir auch in unserer Belegschaft einkürzen mussten, tat weh. Heute expandieren und internationalisieren wir weiter. Wir ermitteln jetzt Marktforschungsdaten in 130 Ländern.


Wie gehen Sie als Firmenchefin mit Diversity um?

Wir nehmen das Thema sehr ernst. Diversity ist eine Frage der Kultur, und die muss bewusst gestaltet werden. Es ist Quatsch, zu glauben, wenn eine Frau, die jung gegründet hat und auch Mama ist, an der Spitze des Unternehmens steht, läuft alles in allen Diversity-Dimensionen automatisch gut. Am Ende müssen Ziele messbar sein. Und es hilft, regelmäßig im Austausch mit allen im Team zu sein. Ich glaube, es klappt bei uns ganz gut. Wir waren schon immer ein internationales Team, in dem verschiedene Glaubensrichtungen zusammenkommen und zunehmend auch verschiedene Alterskohorten. Unser Fokus ist dabei vor allem, die beste Arbeitsumgebung für die jeweiligen Personen zu schaffen.

Zur Person

Janina Mütze hat nach ihrem Studium der Volkswirtschaftslehre im August 2015 die Civey GmbH gegründet. Heute ist sie zudem Mitglied des Beirats der Berliner Sparkasse und schreibt als Kolumnistin für verschiedene Tages- und Fachmedien.