Hintergrund

Berlin bleibt beliebt - Tourismus ist jedoch kein Selbstläufer

Mit der Berliner Tourismus-Wirtschaft geht es aufwärts, aber nur langsam. Noch immer befindet sich die Branche unter dem Vor-Corona-Niveau. Dabei gibt es viele tolle Angebote.

Berlins Tourismus lebt von der Vielfalt

Die Kuppel aus Stahl und Glas ist 800 Tonnen schwer, mehr als 23 Meter hoch und hat einen Durchmesser von 40 Metern. Innen winden sich zwei Wege spiralförmig nach oben zur Aussichtsplattform und wieder hinunter zur Dachterrasse mit Restaurant. Das Bauwerk, 1999 fertiggestellt, thront über dem Reichstagsgebäude, dem Sitz des Deutschen Bundestags. Die Besucher – drei Millionen pro Jahr – können in dieser Glaskuppel den 630 Abgeordneten, die unten im Plenarsaal tagen, buchstäblich auf den Kopf steigen. Oder über das Regierungsviertel hinweg zum Fernsehturm am Alexanderplatz schauen. Mit 368 Metern ist der das höchste Gebäude Berlins. In nur 40 Sekunden bringen Fahrstühle die Besucher zum Aussichtsgeschoss in 200 Metern Höhe, wo sie einen 360-Grad-Blick über das Häusermeer genießen können.

Im 1969 eröffneten Fernsehturm lassen sich Jahr für Jahr rund eine Million Gäste in luftige Höhen chauffieren, nicht nur zur Aussichtsplattform, sondern auch ins darüberliegende Dreh-Restaurant. Das war bis Ende Mai wegen Umbauarbeiten geschlossen – jetzt hat es wieder geöffnet, unter Leitung des Spitzenkochs Tim Raue. Im neuen „Sphere Tim Raue“ gibt es Klassiker der Berliner und Brandenburger Küche mit der für Raue typischen „Aromenwelt aus Süße, Säure und Schärfe“. Das Reichstagsgebäude, das 1995 vom Künstlerpaar Christo und Jeanne-Claude zwei Wochen lang komplett verhüllt worden war und Millionen Schaulustige anzog, gehört mit dem Fernsehturm zu den Must-Sees der Hauptstadt. Beliebt sowohl bei Touristen aus dem In- und Ausland als auch bei Einheimischen, stehen sie beispielhaft dafür, wie sich Berlin permanent wandelt und immer noch attraktiver werden kann. Wie in keiner anderen deutschen Großstadt gibt es hier einen vielfältigen Mix an Erlebnis- und Freizeitangeboten, die ständig ausgebaut und erweitert werden – was Berlin zu einem der begehrtesten Städtereiseziele macht. 

 

Übernachtungen
725
Beherbungsbetriebe
waren in Berlin 2024 aktiv, mindestens 81 neue Hotels und Hostels sind in Planung
Übernachtungen
12,7 Millionen
Gäste
besuchten die deutsche Hauptstadt, ein Anstieg von 5,2 Prozent gegenüber 2023

Im vergangenen Jahr checkten in den 725 Beherbergungsbetrieben 12,7 Millionen Besucher ein, 5,2 Prozent mehr als im Vorjahr. 42 Prozent davon kamen aus dem Ausland. „Die Gästezahlen liegen inzwischen bei über 90 Prozent des Niveaus des Vor-Corona-Jahres 2019“, weiß Sabine Wendt, Geschäftsführerin von visitBerlin, der offiziellen Berliner Agentur für Tourismus- und Kongress-Marketing. „2024 haben wir erstmals seit der Pandemie wieder die 30-Millionen-Marke bei den Übernachtungen überschritten, womit wir uns in den Top Ten der europäischen Metropolen etwa auf Augenhöhe mit Rom befinden.“ Mit dem Tourismuskonzept 2018+ – Qualität statt Quantität, Nachhaltigkeit, Lenkung der touristischen Nachfrage aus der stark frequentierten Innenstadt – habe Berlin einen neuen Standard für die Visitor Economy gesetzt. „Es geht darum, eine Stadt zu entwickeln, in der sich sowohl Touristen als auch Einheimische gleichermaßen wohlfühlen.“ So werden zum Beispiel mit der App „Going Local“ oder gezielten Kiez-Kampagnen Gäste inspiriert, Attraktionen auch außerhalb der zentralen Bezirke zu besuchen – beispielsweise das DDR Museum Depot in Marzahn, die Surf-Event-Location Wellenwerk in Lichtenberg oder das wiedereröffnete Schloss auf der Pfaueninsel in Wannsee –, was wiederum auch die Bewohner der Randbezirke bereichert.

Berliner Mauerreste sind ein Anziehungspunkt für Touristen aus aller Welt

Vom Tourismuskonzept 2018+ profitiere die ganze Stadt, sagt Franziska Giffey, Senatorin für Wirtschaft, Energie und Betriebe: „Mit knapp 17 Milliarden Euro Umsatz und einem Anteil von 6,6 Prozent an der gesamten Wirtschaftsleistung Berlins ist der Tourismus ein wichtiges Standbein unserer Wirtschaft.“ Den Sparkurs des Senats bezeichnet Senatorin Giffey als Kraftakt. „Die Kürzungen im Kunst- und Kulturbereich bleiben natürlich nicht unbemerkt, insbesondere in der Szene selbst – das kulturelle Angebot ist aber einer der großen Anziehungspunkte für unsere Gäste und wird weiter in großer Vielfalt Menschen begeistern, mit gut einer Milliarde Euro Landesförderung im Jahr.“ Giffey gibt zu bedenken: „Ohne die vielen Nicht-Berlinerinnen und -Berliner blieben viele Säle, Museen und Vorführungen leer, denn ein großer Teil der Nachfrage kommt von außen.“ 

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Die touristische Nachfrage steigert die Attraktivität einer Stadt – ohne Touristen hätte Berlin keine drei Opernhäuser und nicht über 20 Sternerestaurants.“
Robert Rückel Vizepräsident der IHK Berlin

Das sieht auch Robert Rückel so, der Vizepräsident der IHK Berlin: „Zwischen der Tourismus- und der Freizeitwirtschaft gibt es im Grunde kaum einen Unterschied.“ Von den Angeboten für die Gäste der Stadt profitierten auch die Einheimischen: „Die touristische Nachfrage steigert die Attraktivität einer Stadt – ohne Touristen hätte Berlin keine drei Opernhäuser und nicht über 20 Sternerestaurants.“ Der ehrenamtliche IHK-Vizepräsident glaubt, „dass ein gutes Angebot an Freizeit- und Tourismus-Highlights sowohl Berlins Einwohnerschaft als auch die Besucher der Hauptstadt gleichermaßen überzeugen kann“. Zwei dieser Highlights betreibt Rückel selbst: neben dem Deutschen Spionagemuseum das vor zwei Jahren eröffnete Deutschlandmuseum, ein weltweit einzigartiger Mix aus Geschichtsmuseum und Freizeitpark-Elementen.

Internationaler Leuchtturm der Kultur

„Berlin als internationaler Leuchtturm der Kultur“, wie es der Regierende Bürgermeister, Kai Wegner (CDU), formuliert, strahlt nicht nur mit einer Vielzahl von Museen und Theatern, sondern auch mit seinen Kabarett- und Kleinkunst-Bühnen. Die ältesten sind die Ende 1949 gegründeten Stachelschweine, wo einst schon der legendäre Wolfgang Neuss auf die Pauke haute, die Distel, die es seit 1953 im Osten der Stadt gibt, und die Wühlmäuse, die nach fast 65 Jahren immer noch von Dieter Hallervorden geleitet werden. Seinen 40. Geburtstag hat gerade das Mehringhof-Theater (siehe S. 26) gefeiert. Neben weiteren einschlägigen Spielstätten, darunter die Berliner Kabarett Anstalt BKA oder die Bar jeder Vernunft, strapazieren auch jüngere Etablissements die Lachmuskeln ihres Publikums: der Downstairs Comedy Club in Mitte zum Beispiel oder der Mad Monkey Room in Prenzlauer Berg. 

Wettbewerbshemmnis City Tax

Obwohl er die weitere Entwicklung des Berlin-Tourismus optimistisch sieht, warnt IHK-Vizepräsident Rückel: „Wir müssen die Preise im Blick behalten – nicht nur Flüge sind deutlich teurer geworden, sondern auch Attraktionen, Gaststätten und Hotels, nicht zuletzt durch die City Tax.“ Diese auf nun 7,5 Prozent erhöhte Übernachtungssteuer sei ein klares Wettbewerbshemmnis, sagt Christian Andresen, Präsident des Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga Berlin. „Wenn man davon ausgeht, dass Reisende über ein festes Budget verfügen, bleibt bei spürbaren Teuerungen am Ende weniger Spielraum für Ausgaben in Gastronomie, Kultur oder Handel.“ Das schwäche den gesamten touristischen Wertschöpfungskreislauf in der Stadt. 

„Die Auswirkungen der lahmenden Konjunktur erfahren unsere Betriebe unmittelbar – vor allem durch eine spürbare Kaufzurückhaltung der Gäste“, so Andresen. „Viele Menschen müssen den Gürtel enger schnallen; spontane Restaurant-Besuche oder Wochenendtrips werden seltener.“ Hinzu kämen die massiv gestiegenen Energie- und Lebensmittelpreise, weiterhin hohe Personalkosten und teils erhebliche Steigerungen bei Mieten und Pachten. Deshalb hofft der Dehoga-Präsident, dass sich Berlin wieder stärker als internationaler Tagungs-, Messe- und Kongress-Standort positionieren kann.

Nach den pandemiebedingten Einbrüchen hat sich die Berliner Veranstaltungsbranche deutlich erholt.“
Sabine Wendt Geschäftsführerin visitBerlin

„Nach den pandemiebedingten Einbrüchen hat sich die Berliner Veranstaltungsbranche deutlich erholt“, sagt visitBerlin-Geschäftsführerin Sabine Wendt. „Von 20.000 jährlichen Business-Events 2020/21 stieg die Zahl der Veranstaltungen auf 70.500 im Jahr 2023 – deutlich mehr als 2019, als 66.850 Events gezählt wurden.“ Große Medizin-Kongresse mit Tausenden Teilnehmenden tagen wieder in der Stadt, und auch die Digital- und Technologie-Branche trifft sich in Berlin – nach der Gitex Europe mit rund 40.000 Gästen und der re:publica mit 20.000 Besuchern stehen im Juli der WeAreDevelopers World Congress und im September Europas größtes KI-Festival Big Bang an. „Ebenfalls im September bringt unser Klassiker IFA, die Internationale Funkausstellung, wieder mehr als 200.000 Gäste auf das Gelände der Messe Berlin.“