Strom für die Digitalisierung

Nachhaltigkeit für die Cloud: der Boom der Rechenzentren

Eine Bitkom-Studie zeigt: Die Hauptstadt wird zum Hotspot für nachhaltige Rechenzentren. Das Energieeffizienzgesetz treibt den Aufbau von Datacentern mit Ökostrom.

Reihen von Serverracks in einem Rechenzentrum mit Lichtspuren, die Datenfluss symbolisieren

Millisekunden können über den Erfolg oder Misserfolg digitaler Geschäftsmodelle entscheiden. Für moderne Rechenzentren ist deshalb die Nähe zum Kunden entscheidend. Die Datenwege müssen kurz sein, um Verzögerungen (Latenzen) zu minimieren – etwa bei Echtzeitanwendungen. Zwar sind Datacenter auf Island wegen günstiger Energiekosten und idealem Klima für viele Betreiber attraktiv. Für zahlreiche Anwendungen überwiegen jedoch die Nachteile: Die längeren Datenwege, etwa 18 Millisekunden von Island nach Berlin, können zum Nadelöhr werden.  

Ein Beispiel: Bremsen oder weiterfahren? Auf dem EUREF-Campus in Schöneberg testen Unternehmen autonome Fahrzeuge, die für sicherheitskritische Entscheidungen auf „Ultra-Low-Latency“-Verbindungen unter 20 Millisekunden angewiesen sind.  

Der trotz seines Namens nicht kommerziell betriebene Internetknoten BCIX (Berlin Commercial Internet Exchange) macht Berlin zum digitalen Drehkreuz: Über das hochmoderne Glasfasernetz sind alle wichtigen Akteure direkt miteinander verbunden – von Rechenzentren über Mobilfunkanbieter bis zu Cloud-Diensten. Diese leistungsstarke Infrastruktur ist das Rückgrat für Berlins dynamische Start-up-Szene und etablierte Digitalunternehmen. Und die Hauptstadt hat ein weiteres Ass im Ärmel: die Nähe zu politischen Entscheidungsträgern.  

Hauptstadtregion im Aufholmodus

Eine aktuelle Bitkom-Studie zeigt: Berlin-Brandenburg ist gerade dabei, ein bedeutender Standort für Rechenzentren zu werden – auch für nachhaltige Datacenter, die mit Ökostrom betrieben werden. Während Frankfurt am Main mit einer IT-Anschlussleistung von rund 1.050 Megawatt (MW) an der Spitze steht, liegt Berlin-Brandenburg mit aktuell 140 MW noch vor Köln/Düsseldorf, München und Hamburg auf Platz 2 und holt stark auf. Laut aktuellen Marktanalysen und Projektankündigungen von Unternehmen wie Maincubes, Virtus und NTT sind bis 2030 zusätzlich 900 MW in konkreter Planung oder im Bau. Nirgendwo sonst ist die Dynamik so stark wie in Berlin.  

„Die Region Berlin-Brandenburg ist innerhalb kürzester Zeit zum zweitstärksten Markt für neue Hyperscale-Rechenzentren in Deutschland geworden“, sagt Michael Dada vom Branchenverband German Datacenter Association (GDA), „wir gehen davon aus, dass Berlin damit mittelfristig auch in einem europäischen Kontext zu den führenden Lagen aufschließen wird“. Grund dafür sei vor allem der Aufbau der Cloud-Services großer IT-Konzerne in Berlin für die Nachfrage in Deutschland und Mitteleuropa. Auch Roberto Barrios Corpa, Datacenter Lead für die DACH-Region beim Immobiliendienstleister Jones Lang LaSalle (JLL) sieht in „Berlin einen aufstrebenden Markt mit großem Wachstumspotenzial, da Entwickler und Investoren angesichts der hohen Nachfrage und Preise in Frankfurt nach neuen Standorten suchen“.

Mann in blauem Anzug und weißem Hemd steht mit verschränkten Armen vor einer Säule in einem modernen Bürogebäude
Berlin ist ein aufstrebender Markt mit großem Wachstumspotenzial, da Entwickler und Investoren angesichts der hohen Nachfrage und Preise in Frankfurt nach neuen Standorten suchen.“
Roberto Barrios Corpa Datacenter Lead bei Jones Lang LaSalle (JLL)

Ein 56-Megawatt-Campus für Tempelhof

Ein Plus sind die Flächenreserven im Brandenburger Umland. „Neue, große Entwicklungen entstehen vor allem außerhalb der Stadtgrenzen – etwa in Ludwigsfelde, Nauen oder Wustermark, die aber weiterhin zum Marktgebiet Berlin zählen“, so der Datacenter-Experte Barrios Corpa. Während Virtus Germany beispielsweise drei Milliarden Euro in den Wustermark-Megacampus vor den Toren Berlins investiert, errichtet das Unternehmen zusätzlich einen 56-Megawatt-Campus im Gewerbequartier Marienpark in Berlin-Tempelhof. Dieser dient als digitales Rückgrat für Cloud-, KI- und Hochleistungsanwendungen und wird an ein Abwärmenetz angeschlossen.  

Rechenzentren in Deutschland: Zahlen & Fakten

Wirtschaftsfaktor: Deutsche Rechenzentren tragen jährlich rund 10,4 Milliarden Euro zum Bruttoinlandsprodukt bei und sichern 65.000 Arbeitsplätze. 

Berlin-Brandenburg: Zahlreiche neue Rechenzentren für große Cloud-Anbieter (Hyperscaler) und für Firmen mit eigenen Servern (Colocation) stärken die digitale Infrastruktur der Hauptstadtregion. 

Stromverbrauch: 18 Milliarden Kilowattstunden jährlich – das entspricht dem Verbrauch von 5 Millionen Haushalten. 

Wasserbedarf: Wassergekühlte Hyperscale-Rechenzentren verbrauchen teils über 1 Million Liter Wasser pro Tag – das entspricht in etwa dem Tagesverbrauch einer Kleinstadt. Immer mehr Betreiber setzen deshalb aus Umwelt- und Kostengründen auf wasserarme oder -freie Kühllösungen. 

Abwärme: 28 Prozent der Colocation-Rechenzentren verwerten bereits die entstehende Abwärme. 

KI-Boom: 20 Prozent der deutschen Rechenzentrumskapazitäten entfallen bereits auf KI und High-Performance-Computing – bis 2030 steigt dieser Anteil auf über 35 Prozent. 

Quellen: Bitkom, Handelsblatt, GDA-Studie 2024 

Die Hauptstadt entwickelt sich dabei zum Goldstandard für die nächste Generation nachhaltiger Rechenzentren. NTT, einer der weltweit größten Hyperscaler, will mit seinem Berlin 2 Data Center neue Maßstäbe setzen: Bereits im Betrieb sind zwei Gebäude, zwei weitere mit einer geplanten Erweiterung auf 48 MW Gesamtkapazität sollen folgen. Im Rechenzentrum, das im Tempelhofer Marienpark angesiedelt ist, sind nicht nur wasserfreie Kühlsysteme verbaut: Die Serverabwärme wird nicht verschwendet, sondern mittels Wärmepumpen auf Heiztemperatur gebracht und zur Versorgung von 150.000 Quadratmetern Gewerbefläche im Marienpark genutzt. Da bei der Abwärmenutzung kein Rohstoff verbrannt wird, ist sie ein wichtiger Baustein für Berlins Weg zur Klimaneutralität.  

Innovationstreiber Energieeffizienzgesetz

Ein grünes Konzept, das Schule macht. Projektentwickler reagieren damit nicht nur auf die steigende Nachfrage nach digitaler Infrastruktur, sondern auch auf verschärfte gesetzliche Vorgaben: Das deutsche Energieeffizienzgesetz (EnEfG) verpflichtet Rechenzentren ab 2024 zu einer Mindestversorgung von 50 Prozent und ab 2027 zu einer vollständigen Versorgung mit Ökostrom. Zusätzlich gelten strenge Anforderungen an die Energieeffizienz, die Nutzung von Abwärme und die Netzintegration. 

Beim Berlin 2 Data Center im Marienpark soll das dann so aussehen: „In einem zweiten Schritt, der ab 2027 beginnen soll, wollen wir mehrere tausend Wohneinheiten sowie gewerbliche und öffentliche Einrichtungen in der näheren Umgebung des Marienparks mit der Abwärme aus dem Rechenzentrum versorgen“, sagt der GASAG-Vorstandsvorsitzende Georg Friedrichs. Die GASAG ist gemeinsam mit Investa Real Estate Teil des Joint Venture DATA2HEAT, das sich auf die Nutzung von Abwärme aus Rechenzentren spezialisiert hat und bereits mehrere Leuchtturmprojekte dieser Art in Berlin umsetzt.  

Wir wollen mehrere tausend Wohneinheiten sowie gewerbliche und öffentliche Einrichtungen (...) mit der Abwärme aus dem Rechenzentrum versorgen.“
Georg Friedrichs Vorstandsvorsitzender der GASAG

Pallasseum: Pionierprojekt für klimafreundliche Wärme

Bereits in den Startlöchern steht das erste Großprojekt in Berlin, bei dem ein denkmalgeschützter Wohnkomplex – das Pallasseum in Schöneberg – mit Abwärme aus einem benachbarten ITK-Netzknoten der PASM Power and Air Condition Solution Management GmbH, einer Telekom-Tochter, beheizt wird. Dazu wird ab Oktober 2025 über eine 140 Meter lange, neu errichtete Wärmetrasse die rund 27 Grad Celsius warme Abwärme entnommen, durch Wärmepumpen auf bis zu 75 Grad angehoben und in das Heizungssystem des Pallasseums eingespeist, das mehr als 500 Wohnungen mit Wärme versorgt. Neben PASM als Betreiber des Rechenzentrums sind die Gewobag als Eigentümerin des Gebäudes und GASAG Solution Plus als Energiedienstleister an dem Vorzeigeprojekt beteiligt.  

Innenhof eines Wohnkomplexes mit mehrstöckigen Gebäuden, Bäumen und einer runden Bücherwand im Zentrum

Das denkmalgeschätzte Pallasseum in Schöneberg soll mit Abwärme aus einem Netzknoten der Telekom versorgt werden.

Christian Gaebler, Senator für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen des Landes Berlin, nennt die für das Pallasseum gefundene Lösung „ein Paradebeispiel für eine mögliche Win-win-Situation: Die Rechenzentren leisten ihren Beitrag zum Klimaschutz, indem sie unvermeidbare Abwärme einer sinnvollen Nutzung zuführen, und die Abnehmer erhalten klimafreundliche Wärme.“ 

Der Preis des Booms: Infrastruktur unter Druck

Branchenexperten erwarten weltweit eine Verdopplung bis Verdreifachung des Energiebedarfs ganzer KI-Rechenzentren innerhalb weniger Jahre. Neben der niedrigen Flächenverfügbarkeit sind es laut Roberto Barrios Corpa von JLL deshalb auch die begrenzten freien Stromkapazitäten, die die Zahl neuer Projekte innerhalb Berlins derzeit limitieren. Ein weiterer Netzausbau ist essenziell: Es werden neue Umspannwerke, leistungsfähige Stromtrassen und Notstromsysteme benötigt.  

Um einen Ausgleich der Nachfrage und verfügbaren Kapazitäten zu erzielen, ist es wichtig, dass Entwickler von Rechenzentren und Netzbetreiber einen engen Austausch aufrechterhalten.“
Michael Dada German Datacenter Association (GDA)

„Um einen Ausgleich der Nachfrage und verfügbaren Kapazitäten zu erzielen, ist es wichtig, dass Entwickler von Rechenzentren und Netzbetreiber einen engen Austausch aufrechterhalten. Nur so können die immer größer werdenden Projekte überhaupt noch realisiert werden“, ergänzt Branchenexperte Michael Dada von der German Datacenter Association (GDA). Zukunftsweisend sind dabei nachhaltige Lösungen, bei denen Abwärmenutzung, erneuerbare Energien und energieeffizienter Betrieb kombiniert werden – wegweisende Projekte in Berlin zeigen, dass so Klimaschutz und digitale Transformation Hand in Hand gehen können.