GRÜNES BAUEN

Nachhaltigkeit bei neuen Immobilien in Berlin

Berlin braucht Wohnungen. Dabei steht die Architektur vor der Herausforderung: Wie gehen Preis, Kreislaufwirtschaft und Klimaschutz mit Regeln wie zum Schallschutz zusammen?

Hoher moderner Bürogebäudekomplex mit gestuften Glasfassaden bei Dämmerung, im Vordergrund Bäume und niedrige Gebäude

Der von Amazon genutzte EDGE East Side Tower gilt als eines der nachhaltigsten Hochhäuser Deutschlands

Für seine Skyline ist Berlin bislang nicht bekannt. Nun aber wachsen hohe Türme auf märkischem Sand: Mit seinen 176 Metern ist der Neuköllner Estrel Tower das höchste Gebäude in Berlin. Und in Friedrichshain steht mit dem EDGE East Side Tower nun das höchste Bürogebäude der Stadt, es misst stolze 142 Meter.

Ganz gleich, ob es um Bürotürme geht oder um komplett neu aus dem Boden gestampfte Wohnviertel: Berlin hält seine Bauherren mit einer Vielzahl an Regeln und Maßgaben zur Nachhaltigkeit an, um dem Klimawandel entgegenzuwirken. Bauplaner und Projektentwickler haben darauf reagiert. Zum Beispiel beim Bau des EDGE East Side Towers, auch bekannt als Amazon-Tower. Die mehr als 3.400 Mitarbeiter des Online-Giganten arbeiten dort in einer besonders nachhaltigen Umgebung: Das vom dänischen Architekturbüro Bjarke Ingels Group (BIG) entworfene Gebäude berücksichtigt viele Aspekte: Produkte aus der ökologischen Kreislaufwirtschaft wurden ebenso eingesetzt wie besonders schadstoffarme Baustoffe. In den oberen Etagen wurde zum Teil CO2-reduzierter Beton verwendet. Im Ergebnis gilt das EDGE-East-Side-Hochhaus als eines der nachhaltigsten Hochhäuser Deutschlands.

Ein Thema, viele Regeln

In Berlin regeln viele Vorschriften das nachhaltige Bauen. 

  • Das „Schneller-Bauen-Gesetz“, das 2024 in Kraft getreten ist, soll Genehmigungsverfahren beschleunigen, damit schneller gebaut werden kann. 

  • Das Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen (BNB) findet Anwendung, wenn die öffentliche Hand Bauprojekte im Wert von mehr als zehn Millionen Euro umsetzt.  

  • Die Bauordnung für Berlin (BauO Bln) regelt überbaute Flächen, Dachbegrünung und barrierefreies Bauen.  

  • Das Gebäudeenergiegesetz (GEG) aus dem Jahr 2020 legt fest, welche energetischen Anforderungen Neu- und Bestandsgebäude erfüllen müssen.  

  • Das Berliner Energiewendegesetz (EWG Bln) ist 2016 in Kraft getreten und regelt die Energiewende bei Gebäuden.  

  • Die Verordnung zur Durchführung des Erneuerbare-Energien-Wärmegesetzes (EEWärmeG-DV Bln) schließlich legt fest, wie erneuerbare Energie im Wärmebereich genutzt werden muss.  

Doch reichen solche Innovationen aus, um ganz Berlin lebenswerter und gleichzeitig bis 2045 klimaneutral zu machen, wie die Politik es vorgesehen hat? Um das ehrgeizige Ziel zu erreichen, gibt das Land Berlin nicht nur viele Regeln für ökologisches Bauen vor, sondern fördert auch Projekte und achtet beim Einkauf und Bau selbst auf Nachhaltigkeit. Vor vier Jahren hat Berlin ein Klimaschutz- und Energiewendegesetz beschlossen und damit Nachhaltigkeit bei Bauprojekten zum Standard gemacht. Große Vorhaben setzen viele verschiedene Aspekte nachhaltigen Bauens um: besonders energieeffiziente Wohnungen wie im Friedrichshainer Barnimkiez, Wohnhäuser in ökologischer Holz- und Ziegelbauweise in Britz oder inklusive Wohnungen, die die Genossenschaft Rot Buckow in Neukölln verwirklicht. 

Mann mit hellbraunem Haar trägt ein schwarzes, langärmliges Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln vor einer Holzfassade
In Wohnbauprojekten senken wir Rückbaukosten um fast ein Drittel, die Materialkosten im Neubau um bis zu 20 Prozent – und den CO₂-Fußabdruck der wiederverwendeten Materialien um bis zu 95 Prozent.“
Dominik Campanella Mitgründer bei Concular

Nachhaltigkeit ist oft Standard

In großem Stil entsteht in den nächsten Jahren ein nachhaltig gebautes Quartier am sogenannten Siemensstadt Square in Spandau. Auf über 70 Hektar wird bis 2035 ein neues Stadtviertel mit Industrie, Forschung, Gewerbe und rund 2.750 Wohnungen emporwachsen. Das Areal soll im Betrieb CO₂-neutral sein und als sogenannte Schwammstadt ausgelegt werden – dann sorgt ein ausgeklügeltes Regenwassermanagement dafür, dass Regenwasser nicht einfach versickert, sondern in Zisternen gespeichert wird. 

Schon bei der Errichtung der Gebäude setzen die Architekten auf nachhaltige Baustoffe. Das Büro Aukett + Heese ist für zwei Büroneubauten und einen Info-Pavillon verantwortlich. „Für die Bodenwanne der Gebäude nutzen wir Beton mit rund 50 Prozent weniger CO₂-Emissionen“, erklärt Architekt Max Reder. Auf den Etagen kommen recycelte Doppelbodenplatten zum Einsatz. Auch bei Glas, Fassade und Dachanlagen wurde auf Nachhaltigkeit geachtet: Begrünte Fassaden kühlen die Räume, Pergolen auf dem Dach sorgen für Schatten, Photovoltaik liefert Strom.

Mit innovativen Materialien wie Hanf- oder Glasfaserbeton ist Reder zurückhaltender: „Bei 30.000 Quadratmetern Bruttogeschossfläche kann ich keine unerprobten Bauweisen einsetzen. Funktionierende Konsruktionen, wie die Holz-Beton-Verbunddecken in Siemensstadt Square, werden von Aukett + Heese auch in großen Projekten bereits umgesetzt. Dafür ist immer eine vorhabenbezogene Bauartgenehmigung erforderlich, die mit Unterstützung der Architekten beantragt wird.“ Lehmbausteine hätten zwar Potenzial, seien aber noch aufwendig und teurer. Andere Verfahren wie 3D-Druck seien ebenfalls vielversprechend, hätten aber noch keine Marktreife erreicht, und werden bei Aukett + Heese derzeit nur in kleineren Projekten getestet, zum Beispiel bei Umkleidekabinen im KaDeWe.

Person mit grauem Haar, zurückgebunden, trägt ein weißes Hemd mit offenem Kragen vor neutralem Hintergrund
Der CO₂-Fußabdruck eines Gebäudes sollte schon beim Bauantrag berücksichtigt werden.“
Max Reder Architekt bei Aukett + Heese

Mehr als 20.000 Vorschriften gelten im Bau

Oft allerdings bremsen technische Normen den Einsatz klimafreundlicher Bauweisen aus: „Die Schallschutznormen in Deutschland sind sehr hoch“, erläutert Reder. „Das erschwert zum Beispiel den Einsatz von Holz und macht mehrschichtige Konstruktionen notwendig.“ 

Und diese Vorgaben sind nicht die einzigen Regeln in der Baubranche. Fachleute gehen davon aus, dass mindestens 20.000 unterschiedliche Vorschriften Bautätigkeiten regeln – und teurer machen. Neben den gesetzliche Vorgaben gelten „anerkannte Regeln der Technik“, nach denen Bauherren Gebäude errichten, um zu vermeiden, im Zweifel für Mängel haftbar gemacht zu werden.

Berlin hat dabei noch Glück, weil hier viele Bauherren offen für neue Konzepte sind. „Das macht nachhaltiges Bauen definitiv einfacher“, sagt Dominik Campanella, Mitgründer der Concular-Plattform für Zirkuläres Bauen, „dafür ist aber in Berlin die Bürokratie durch die verschiedenen Bezirke um einiges belastender.“ 

Luftaufnahme eines modernen Stadtviertels mit mehreren mehrstöckigen Gebäuden, begrünten Flachdächern und einem zentralen Platz mit Bäumen und Menschen

In Siemensstadt entsteht auf über 70 Hektar ein neues Stadtquartier mit Industrie, Forschung, Gewerbe und rund 2.750 Wohnungen

Zirkuläres Bauen: Materialien wiederverwenden

Campanella sieht in der Wiederverwendung von Material die größte Stellschraube für ressourcenschonendes Bauen. „Die Klimakrise wird auf der Baustelle entschieden – dort entstehen 60 Prozent des weltweiten Abfalls und 40 Prozent der CO₂-Emissionen“, erklärt er. Zirkuläres Bauen bedeutet, dass Bauteile und Materialien systematisch wiederverwendet werden. Beim Umbau eines Gebäudes an der Französischen Straße in Berlin etwa erfasste Concular mehr als 5.000 Quadratmeter Doppelboden, Hunderte Brandschutztüren und technische Anlagen digital und bereitete sie für eine zweite Nutzung auf. Anstatt teuer entsorgt zu werden, können die Komponenten in neuen Projekten weiterverwendet werden. „In Wohnbauprojekten senken wir so die Rückbaukosten um fast ein Drittel, die Materialkosten im Neubau um bis zu 20 Prozent – und reduzieren den CO₂-Fußabdruck der wiederverwendeten Materialien um bis zu 95 Prozent“, sagt Campanella.

Frau mit schulterlangem braunem Haar trägt weißen Blazer mit schwarzem Oberteil mit goldfarbenen Knöpfen, steht vor weißer Wand
Es gibt eine Vielzahl an Ansätzen, um das nachhaltige Bauen zu beschleunigen.“
Aygül Özkan Hauptgeschäftsführerin des Zentralen Immobilien Ausschusses (ZIA)

Mehr Technologieoffenheit

Aygül Özkan, Hauptgeschäftsführerin des Zentralen Immobilien Ausschusses (ZIA), sieht Handlungsbedarf auf mehreren Ebenen. „Es gibt eine Vielzahl an Ansätzen, um das nachhaltige Bauen zu beschleunigen“, sagt sie. Neben kürzeren Genehmigungsverfahren brauche es verlässliche Förderbedingungen und mehr Technologieoffenheit. Bauherren sollten selbst entscheiden können, mit welchen Mitteln sie Klimaziele erreichen. 

Eine größere Rolle solle außerdem die Technik spielen – durch konsequent digitale Bauplanung und ein flächendeckendes Building Information Modeling (BIM). „Eine digitale Planung mit einheitlichen Datenstandards würde Planungsfehler reduzieren, Kosten senken und die Nachhaltigkeit erhöhen“, ist Özkan überzeugt.  

In Dänemark beispielsweise sind schon heute BIM und digitale Modelle Pflicht, um die Nachhaltigkeit von Gebäuden im Entwurf, beim Bau und im späteren Betrieb zu kalkulieren. Auch Aukett + Heese setzt BIM in Berlin seit Langem ein, um die CO₂-Bilanz von Gebäuden aufzustellen. „Es gibt dafür keine Verpflichtung, aber wir nutzen BIM da, wo es sinnvoll und schneller ist“, sagt Architekt Reder. Er meint, für mehr Nachhaltigkeit sollte der CO₂-Fußabdruck eines Gebäudes schon beim Bauantrag berücksichtigt werden.  

Dabei allerdings setzen die Architekten in Berlin weiterhin auf jahrzehntelalte bewährte Verfahren: Den Bauantrag müssen die Planer nach wie vor auf großen Bögen Papier ausgedruckt abgeben. Immerhin: Eine CD ist auch dabei.