Vorgabe für Webseiten

Das neue Barrierefreiheitsstärkungsgesetz und wie Unternehmen damit umgehen

Zalando und die Berliner Sparkasse zeigen bereits, welche neuen Chancen die Barrierefreiheit im E-Commerce bietet. Und die Fallstricke? Nur ein Drittel der Online-Shops sind bislang gesetzeskonform.

Weiße Tastaturtasten auf grauem Untergrund, unten das Wort 'INCLUSION' aus einzelnen Tasten gelegt

Ganz gleich, ob es um Menschen geht, die schlecht sehen, hören oder verstehen können, oder um Personen mit motorischen Einschränkungen – ihnen allen hilft die sogenannte Barrierefreiheit. Die Regel, dass Einrichtungen, Webseiten und Informationen auch für diese Gruppen gut zugänglich sein müssen, gilt bereits seit Jahren – bislang allerdings nur für die öffentliche Verwaltung und für öffentliche Institutionen wie Theater oder Museen. Nun aber verpflichtet das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) seit dem 28. Juni 2025 auch private Unternehmen, ihre digitalen Angebote barrierefrei zu gestalten. Dabei geht es um alle Angebote von reinen Informationen über Nutzer-Apps bis hin zu den vielfältigen Online-Shops.   

Was bedeutet Barrierefreiheit?

Eine barrierefreie Webseite ist für auch Menschen mit Einschränkungen zugänglich und nutzbar. Das bedeutet, dass die Seite gut strukturiert und so gestaltet ist, dass sich Text und Hintergrund gut voneinander abheben. Die Webseite ist für Screenreader geeignet und kann mit einer externen Tastatur bedient werden. Bilder sind mit Alternativtexten hinterlegt, Videos untertitelt und alle Texte gut lesbar und in klarer und verständlicher Sprache geschrieben.

Auch die Vertragsbedingungen, der Kundenservice und weitere Beratungsangebote müssen so gestaltet sein, dass sie für alle zugänglich sind. Verkaufsautomaten, Selbstbedienungsterminals oder Kassensysteme müssen für Menschen mit Einschränkungen erreichbar sein. 

Jedes Unternehmen, das digitale Angebote bereitstellt, interaktive oder andere smarte Geräte verkauft oder bestimmte Dienstleistungen und Produkte anbietet, sollte also jetzt genau prüfen: Sind diese Dienstleistungen vom BFSG betroffen? Dazu rät jedenfalls der E-Commerce-Bundesverband (bevh): „Grundsätzlich betrifft das BFSG alle Onlinehändlerinnen und -händler, ob klein oder groß, ob mit eigenem Webshop oder auf Marktplätzen tätig und unabhängig von den angebotenen Sortimenten“, sagt bevh-Justiziarin Elisa Rudolph. Online-Shops, Apps und Ticketautomaten, aber auch die Kommunikation mit Kundinnen und Kunden sowie der Auftritt auf sozialen Plattformen müssen leichter zugänglich werden. Ausgenommen sind Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten und einem Jahresumsatz von unter zwei Millionen Euro.

Grundsätzlich betrifft das BFSG alle Onlinehändlerinnen und -händler, ob klein oder groß, ob mit eigenem Webshop oder auf Marktplätzen tätig und unabhängig von den angebotenen Sortimenten“
Elisa Rudolph bevh-Justiziarin

Ausnahmen für kleine Unternehmen

Kleine Unternehmen betrachten die Regelungen daher ganz entspannt. Ben Irion von Supermarché Berlin zum Beispiel, einem Händler für faire und nachhaltige Mode: „Ich habe mir das Gesetz schon vor einiger Zeit angeschaut“, sagt Irion. „Aber wir beschäftigen nicht genug Leute. Wir gelten als als Kleinstunternehmen und sind nicht betroffen.“

Doch viele größere E-Commerce-Händler und Dienstleister müssen ihre Angebote umgestalten, und einige haben bereits gehandelt. „Alle Geldautomaten der Berliner Sparkasse erfüllen die Anforderungen des BFSG und sind für Menschen mit Beeinträchtigungen ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar“, erläutert Julia Lehmann, Sprecherin der Berliner Sparkasse. Auch die App ist mittlerweile barrierefrei. Der Aufwand für die Umstellung war nicht unbeträchtlich, denn die Bank betreibt 78 Filialen, mehr als ein Dutzend weitere Banking-Standorte, zwei Busse und insgesamt 813 Selbstbedienungsgeräte.

Auch der Online-Händler Zalando hat das Gesetz schon umgesetzt. „In allen Zalando-Märkten ist der digitale Kaufprozess nun auch für Menschen mit Sehbehinderung oder eingeschränkter Handmobilität zugänglich. Dazu haben wir unsere App und unseren Webauftritt gezielt überarbeitet, Barrieren beseitigt und zentrale Probleme für Nutzerinnen und Nutzer von Screenreadern und Tastaturnavigation gelöst“, erläutert Julia Zweigle vom Onlinehändler. Außerdem gelte bei Zalando „inklusives Denken“, Designer und Entwickler sollen Barrierefreiheit von Anfang an berücksichtigen, wenn sie Angebote planen und gestalten. Jede neue Funktion werde vor der Freigabe geprüft, ob sie auch barrierefrei und so für alle Kundinnen und Kunden zugänglich sei.

Hilfsangebote für Mittelständler

Viele kleine Firmen und Mittelständler, die weniger Personal als Zalando oder die Sparkasse haben, brauchen allerdings weiterhin Unterstützung. „Die Unternehmen möchten wissen, wo sie stehen, ob es Förderprogramme gibt und was die Umstellung kostet“, sagt Aylin Citak von der Digitalagentur Berlin. Die bietet spezielle Orientierungsgespräche zu diesem Thema an. „Viele Unternehmen betrachten die barrierefreie Webseite als ein Erfolgsfaktor für ihr Business. Aber es fehlt einfach an Kapazitäten und Zeit“, so Citak. Die Digitalagentur hilft den Unternehmen bei der Analyse ihrer Webseiten und vermittelt Informationen über technische und gestalterische Tools. 

Viele Unternehmen betrachten die barrierefreie Webseite als ein Erfolgsfaktor für ihr Business. Aber es fehlt einfach an Kapazitäten und Zeit“
Aylin Citak Digitalagentur Berlin

Auch Kreativagenturen haben ihre Kunden darauf hingewiesen, dass das Gesetz Änderungen in ihrem Auftritt erfordern könnte. „Wir haben uns schon im Herbst 2024 darauf vorbereitet, welche Auswirkungen das Gesetz hat, weil wir einen großen Andrang von Kunden zum Stichtag fürchteten“, sagt Jessica Wegelin, Director Digital Strategy bei der Agentur Smith, die von Kreuzberg aus Unternehmen und öffentliche Einrichtungen betreut. Der Aufwand sei nicht zu unterschätzen. Bis zu einer Woche Arbeitszeit sei bei einem Kunden nötig gewesen, um eine mittelgroße Webseite technisch und inhaltlich anzupassen und die entsprechenden Veränderungen zu dokumentieren, berichtet Weggelin.  

Buchungstools bedingen Barrierefreiheit 

Zuvor müssen die Webseiten und Angebote sorgfältige analysiert werden. Denn oft sorgten schon kleine Prozesse wie beispielsweise ein Buchungstool dafür, dass die gesamte Webseite barrierefrei werden muss. Solche interaktiven Tools erhöhen die Anzahl der Unternehmen, die von der Umstellung betroffen sind. Sogar Rechtsanwaltskanzleien und Notariate müssten handeln, wenn online ein Verbrauchervertrag abgeschlossen oder eine Rechtsdienstleistung gebucht werden kann, heißt es im Fachblatt Legal Tribune Online LTO.  

Ob nun allerdings eine große Abmahnwelle auf die Unternehmen zurollt, die die Vorschrift noch lax nehmen oder einfach keine Zeit fanden für die Umsetzung, ist ungewiss. Konkurrenten und Verbände könnten darauf drängen, dass ein Unternehmen barrierefrei handelt. Auch können Verbraucher, die sich diskriminiert fühlen, bei der Marktüberwachungsbehörde die Überprüfung eines Onlineshops verlangen. Die Kontrollbehörde droht mit hohen Bußgeldern, wenn nicht nachgebessert wird. Allerdings ist die Behörde noch längst nicht tätig: Sie wird derzeit in Magdeburg gegründet. 

Versteckte Potenziale

Barrierefreie Webseiten zeigen nicht nur das positive Bild eines Unternehmens, das gesellschaftliche Verantwortung übernimmt. Gut strukturierte Online-Auftritte mit sinnvollen und klaren Angeboten bieten auch viel Potenzial, um neue Kunden anzusprechen.  

  • Geschätzt mehr als 1,2 Millionen Menschen in Deutschland sind auf barrierefreie Angebote angewiesen. Sie werden als Zielgruppe bislang oft ignoriert. 

  • Auch der steigende Anteil von Senioren profitiert von einer einfacheren Handhabung.  

  • Barrierefreie Websites schneiden besser in Internetrankings ab, weil sie die Kriterien der Suchmaschinenfunktion perfekt erfüllen. 

  • Barrierearme Internetauftritte werden in der Regel schneller geladen.