Strategie gegen Azubimangel

In Berlin fehlen Azubis, nicht Lehrstellen - wie Unternehmen damit umgehen

Unternehmen in Berlin suchen händeringend Fachkräftenachwuchs. Gegen Bewerbermangel und fehlende Basiskompetenzen hilft am allerwenigsten eine Ausbildungsplatzumlage. Hier erzählen Firmen, wie sie mit der Situation umgehen.

Ausbildungsplätze ohne Bewerbungen - Realität in vielen Unternehmen

Bei der Suche nach jungen Menschen für eine duale Ausbildung können Unternehmen auf ganz unterschiedliche Hindernisse stoßen. Inzwischen berichtet zum Beispiel jeder vierte Betrieb mit unbesetzten Ausbildungsplätzen in Deutschland, dass geeignete Bewerber wieder abspringen. Dies geht aus einer im März 2025 veröffentlichten Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hervor. „Das Phänomen ,Ghosting‘ kann mit hohen betrieblichen Kosten verbunden sein, da nicht nur bereits in den Rekrutierungsprozess geflossene Investitionen verloren gehen“, erklärt IAB-Forscherin Barbara Schwengler. „Es besteht auch die Gefahr, dass zum Beginn des Ausbildungsjahres keine passende Neubesetzung mehr erfolgen kann“, so die Expertin. „Die Ausbildungsstelle bleibt dann unbesetzt und das Potenzial der Fachkräftequalifizierung ungenutzt.“ Ghosting ist nicht das einzige Thema, das Unternehmen bei der Besetzung offener Ausbildungsplätze Probleme bereitet. Auch bezahlbares Wohnen wird beim Werben um Azubis immer mehr zu einem wichtigen Faktor. Gleichzeitig klagen Personalverantwortliche über zu geringe Basiskenntnisse bei einer wachsenden Zahl von Bewerbern. Ergebnisse des IQB-Bildungstrends bestätigen diesen Trend: Gegenüber dem Vergleichsjahr 2015 ist der Anteil der Jugendlichen gestiegen, die im Jahr 2022 – und damit nach den beiden großen Zuwanderungs- und Flüchtlingswellen ab 2015 – im Fach Deutsch den Mindeststandard für den Mittleren Schulabschluss (MSA) im Lesen, Zuhören und in der Orthografie verfehlen. Zu den Fächern Mathematik und Naturwissenschaften werden im Herbst dieses Jahres aktuelle Zahlen veröffentlicht. Allerdings lassen die Ergebnisse der Vergleichsarbeiten der Berliner Schulen aus dem vergangenen Jahr auch in diesen Fächern enttäuschende Ergebnisse erwarten.

Bewerbermangel
32
Prozent
der befragten Unternehmen gaben an, dass sie im Ausbildungsjahr 2023/24 keine Bewerbungen erhalten haben
Unternehmen stellen ein
3,2
Prozent
neue betrieblichen Ausbildungsverhältnissen wurden 2024 in IHK-Berufen verzeichnet

So überrascht es kaum, dass sich die Bewerbungssituation gegenüber den Vorjahren deutlich verschärft hat. Zahlen dazu liefert die Aus- und Weiterbildungsumfrage der IHK Berlin aus dem Vorjahr: Hatten im Ausbildungsjahr 2017 noch 17 Prozent der befragten Unternehmen angegeben, dass sie keine Bewerbungen erhalten haben, so waren es für das Ausbildungsjahr 2023/24 fast ein Drittel (32 Prozent). Klar wird bei diesen Zahlen: Viele Debatten um die Ausbildung werden mit einer falschen Schlagseite geführt. Das Kernproblem in der Hauptstadt sind nicht fehlende Ausbildungsplätze, es mangelt vielmehr an jungen Menschen, die die nötigen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Ausbildung mitbringen. Trotz dieses Gegenwinds engagierten sich die IHK-Unternehmen im vergangenen Jahr dafür, deutlich mehr Auszubildende aufzunehmen als noch im Vorjahr. Insgesamt konnte laut der gerade veröffentlichten IHK-Ausbildungsbilanz 2024 ein Plus von 3,2 Prozent an neuen betrieblichen Ausbildungsverhältnissen in Berlin verzeichnet werden. Dieser Aufwärtstrend in IHK-Berufen hätte noch deutlich größer ausfallen können, getrübt wird er aber von einer weiterhin hohen Vertragslösungsquote von rund 13,3 Prozent über alle Ausbildungsverhältnisse. Vor diesem Hintergrund sorgen die aktuellen Pläne des Senats, sich mit einem Gesetzesentwurf zu der Einführung einer möglichen Berliner Ausbildungsumlage zu befassen, für großes Unverständnis. „Wir sind ein Unternehmen der Baubranche und haben mit dem sogenannten SOKA-Verfahren bereits seit vielen Jahrzehnten eine brancheneigene Ausbildungsumlage, die von Tarifvertragsparteien begründet wurde“, berichtet zum Beispiel Dieter Mießen. „Eine allgemeine Umlage für alle Unternehmen dieser Stadt lehne ich aber nicht nur deswegen kategorisch ab“, bezieht der kaufmännische Leiter der Frisch & Faust Tiefbau GmbH klar Stellung. 

Die Umlage wird keinen einzigen zusätzlichen Ausbildungsvertrag schaffen – sie ist als Instrument vollkommen ungeeignet, da ihr ein völlig falsches Bild der Wirklichkeit zugrunde liegt“
Sebastian Stietzel Präsident der IHK Berlin

Strafabgabe geplant

Aktuell plant das Land die Einführung einer solchen Strafabgabe, falls die Wirtschaft zwischen Ende 2023 und 2025 keine 2.000 zusätzlichen Ausbildungsverhältnisse schafft. Davon betroffen wären alle Berliner Unternehmen mit sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten ab einer bestimmten Bruttolohnsumme. Derzeit ist Bremen das einzige Bundesland in Deutschland, das eine verpflichtende Ausbildungsabgabe eingeführt hat. Dort müssen alle Unternehmen ab einer Bruttolohnsumme von 135.000 Euro die Abgabe in einen Ausbildungsfonds einzahlen. Auch nach Überzeugung der IHK Berlin führt die Ausbildungsumlage in eine Sackgasse. „Die Umlage wird keinen einzigen zusätzlichen Ausbildungsvertrag schaffen – sie ist als Instrument vollkommen ungeeignet, da ihr ein völlig falsches Bild der Wirklichkeit zugrunde liegt“, beklagt sich Sebastian Stietzel, Präsident der IHK Berlin. Passungs- und Matching-Probleme bleiben dadurch weiterhin ungelöst, zudem bestraft die Umlage jene Unternehmen, die ausbilden wollen, aber keine Bewerber finden. Darüber hinaus schafft sie einen immensen Verwaltungsapparat. 

Basiskompetenzen stärken

Der IHK-Präsident sieht zwei zentrale Themenfelder, die stattdessen neben vielen weiteren notwendigen Weichenstellungen von den verantwortlichen Akteuren vorangetrieben werden sollten, um Berlin in den nächsten Jahren als innovative Bildungsmetropole zu stärken. Hierzu zähle zum einen die Stärkung der Basiskompetenzen. „Kinder müssen frühzeitig in grundlegenden Bereichen wie Lesen, Schreiben und Mathematik sowie digitalen Kompetenzen gezielt unterstützt werden, um eine solide Bildungsbasis zu schaffen“, so Stietzel. „Kinder, die nicht richtig sprechen und verstehen können, sind in der Schule nur bedingt teilhabefähig und daher von Anfang an im Nachteil“, gibt er zu bedenken. Zum anderen müsse die Berufsorientierung durch eine engere Zusammenarbeit mit der Wirtschaft weiter verstärkt werden. Die IHK Berlin beweist in diesem Themenfeld schon heute, wie es besser gehen kann. Gemeinsam mit unterschiedlichen Partnern hat die Kammer im Rahmen der im Jahr 2023 gestarteten IHK-Ausbildungsoffensive innovative Ideen für eine bessere Berufsorientierung und die Azubigewinnung auf den Weg gebracht. Für eine bessere Berufsorientierung gehen etwa Ausbildungsbotschafter in Schulen, die Plattform praktikum.berlin präsentiert passende Praktikumsplätze, und die in diesem Jahr zum dritten Mal stattfindende Praktikumswoche ermöglicht kurze Einblicke in eine Vielzahl von Berufen. Für ein besseres Matching bei der Ausbildung sorgen zum Beispiel die Portale ausbildung.berlin und meine-ausbildung-in-deutschland.de. Auch die Ausbildungsplatzentwickler der IHK Berlin oder die neue Kampagne „Ausbildung macht mehr aus uns“ verfolgen das Ziel, neue Ausbildungsplätze zu schaffen und zur Fachkräftesicherung in Berlin beizutragen. 

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Ausbildungsprojekt in Namibia

Um dem bereits heute existierenden Mangel an Fachkräften in der Hauptstadt zu Leibe zu rücken, hat die IHK Berlin nicht zuletzt ein spannendes Ausbildungsprojekt in Namibia mit ins Leben gerufen. „Prognosen zeigen deutlich, dass sich diese Lücke in den kommenden Jahren weiter dramatisch vergrößern wird“, erklärt IHK-Präsident Stietzel den Hintergrund des Projektes. „Ohne gezielte Zuwanderung aus dem Ausland wird es kaum möglich sein, diesem Trend entgegenzuwirken.“ Hierbei bietet sich Namibia als idealer Kooperationspartner für Berlin an: Neben der fehlenden Zeitverschiebung bestehen enge kulturelle Verbindungen zu Deutschland inklusive einer hohen Affinität zur deutschen Sprache. Gleichzeitig kämpft Namibia mit einer hohen Jugendarbeitslosigkeit und einem geringen Bildungsniveau insbesondere bei der praktischen Ausbildung, sodass eine Zusammenarbeit beiden Seiten große Chancen eröffnet: Jungen Menschen vor Ort eröffnen sich neue Perspektiven, und Berlin erhält dringend benötigte Fachkräfte. Der IHK-Präsident blickt voraus. „Unser Ziel ist es, von 2026 an unter dem Label TalentsBridge in Namibia eine Ausbildung nach deutschen Standards und in deutscher Sprache anzubieten – gezielt in den Branchen, in denen in Berlin der Bedarf, aber auch die Nachfrage vor Ort besonders hoch ist, etwa im produzierenden Gewerbe, im Handel und Tourismus.“ Interessierte Unternehmen können sich bereits heute bei der IHK melden und ihre Beteiligungsmöglichkeiten abstimmen. Die Hauptstadt wünscht sich noch mehr solcher Ideen.