Fachkräfte gesucht

Fachkräfte: Brücken bauen nach Berlin

Der Berliner Arbeitsmarkt steht unter Druck. Von den derzeit mehr als 1,8 Millionen Beschäftigten werden bis 2035 etwa 412.000 in Rente gehen. Für die frei gewordenen Stellen muss Ersatz gefunden werden. Aber schon heute klagt die lokale Wirtschaft, rund 45.000 dringend benötigte Arbeitsplätze nicht besetzen zu können. Und die Krise dürfte sich künftig noch verschärfen.

Eine Hand weist auf einen Globus.

Fachkräfte in aller Welt gesucht

Die Zahlen sprechen für sich, der Berliner Arbeitsmarkt steht unter Druck. Von den mehr als 1,8 Millionen Beschäftigten, die noch Mitte des vergangenen Jahres registriert waren, werden bis 2035 etwa 412.000 in Rente gehen. Für die frei gewordenen Stellen muss Ersatz gefunden werden. Aber schon heute klagt die lokale Wirtschaft, rund 45.000 dringend benötigte Arbeitsplätze nicht besetzen zu können. Und die Krise dürfte sich künftig noch verschärfen. Die IHK Berlin rechnet in ihrem Fach- und Arbeitskräftemonitor bis 2035 mit einem Anstieg der Zahl der offenen Stellen auf mehr als 163.000. Der kumulierte Wertschöpfungsverlust durch den massiven Fachkräftemangel könnte nach der IHK-Prognose bis dahin rund 50 Mrd. Euro betragen.

„Wir müssen also rechtzeitig gegensteuern, wenn wir die Wirtschaftskraft nicht gefährden wollen“, mahnt Sebastian Stietzel, Präsident der IHK Berlin. „Die klassischen Arbeitsmarktinstrumente behalten zwar ihre Notwendigkeit, werden aber nicht ausreichen.“ Zu diesen Instrumenten gehören vor allem die Stärkung schulischer Bildung und beruflicher Ausbildung, Anreize, Teilzeitbeschäftigten eine Erwerbstätigkeit in Vollzeit zu ermöglichen, oder Maßnahmen zur Weiterbildung und Qualifizierung von Menschen, die einer geringfügigen Beschäftigung nachgehen oder arbeitslos sind. 

Auf dem Bild ist IHK-Präsident Sebastian Stietzel zu sehen.

IHK-Präsident Sebastian Stietzel

Aber selbst bei optimaler Hebung der inländischen Potenziale ist die qualifizierte Zuwanderung ausländischer Fach- und Arbeitskräfte unverzichtbar. „Die IHK Berlin geht deshalb bewusst neue Wege, um unsere Unternehmen bei der Fachkräftesicherung zu unterstützen“, sagt Präsident Stietzel. „Unsere ersten Angebote wie TalentsBridge oder Hand in Hand for International Talents zeigen, dass wir nicht nur Chancen bieten, sondern auch Brücken bauen – und so Berlin als internationalen Ausbildungs- und Arbeitsstandort sichtbarer und attraktiver machen.“ Wer heute Offenheit lebe und konkrete Angebote habe, lege den Grundstein für die Innovationskraft und wirtschaftliche Stärke der Stadt von morgen.

 „Das Projekt TalentsBridge“, erklärt Stietzel, „eröffnet Unternehmen die Möglichkeit, gezielt junge internationale Talente zu gewinnen, die nicht nur hervorragend ausgebildet sind, sondern aucheine ausgeprägte Motivation, interkulturelle Kompetenzen und das erforderliche Sprachniveau mitbringen.“ Er sehe darin eine echte Win-win-Situation: „Durch unsere Investition in die Fachkräfte von morgen gewinnen wir engagierte und international erfahrene Talente – die Verbindung von deutscher Ausbildung im Heimatland mit gezieltem Sprach- und Kulturtraining ist für mich ein entscheidender Faktor, um die Integration nachhaltig zu stärken und einen wertvollen Beitrag für die wirtschaftliche Zukunft Berlins zu leisten.“ 

Auf einer stilisierten Landkarte ist Namibia zu sehen und ein Pfeil, der von dort nach Berlin weist.zu sehen,

Aus Nambia sollen voll ausgebildete Azubis nach Berlin kommen.

In Berlins Partnerstadt Windhoek, der Hauptstadt Namibias im Südwesten Afrikas, entsteht gerade das TalentsBridge-Ausbildungszentrum für junge Namibierinnen und Namibier, die ab 2026 eine hochwertige und praxisorientierte Ausbildung nach deutschen Standards durchlaufen können – gestartet wird mit 100 Azubis, später können es bis zu 3.000 werden. Der Campus mit Schule, Werkstätten, ausbildenden Unternehmen und Unterkünften wäre dann das größte deutsche Berufsbildungsprojekt in Afrika. TalentsBridge wird unterstützt von der namibischen Regierung, weil dort weit über 40 Prozent der Jugendlichen arbeitslos sind. Die IHK Berlin übernimmt die inhaltliche Steuerung, die Qualitätskontrolle und die Anerkennung der Abschlüsse.

 Berliner Unternehmen wirken aktiv an TalentsBridge mit und werden in die Ausbildung und ihre Module eingebunden – möglich sind dabei Praktika, Stipendien oder die Entsendung von Ausbildungspersonal oder sogar die Ansiedlung einer Niederlassung auf dem Campus. Ein geplantes Finanzierungsmodell sieht vor, dass sich Unternehmen an der Ausbildung ihrer zukünftigen Fachkräfte mit einem monatlichen Beitrag beteiligen und dann eine Übernahmepauschale zahlen. „Zurzeit sind wir mit über 100 Unternehmen im Austausch“, heißt es aus der IHK, „so können wir die Ausbildungsgänge passgenau auf den Berliner Arbeitsmarkt abstimmen.“ Ihr Interesse können Betriebe durch einen Letter of Intent signalisieren. 

163.000 offene Stellen erwartet die IHK Berlin laut ihrem Fach- und Arbeitskräftemonitor bis 2035.

100 Unternehmen stehen derzeit zur TalentsBridge mit der IHK Berlin im Austausch.

3.000 Azubis sollen perspektivisch im TalentsBridge-Campus in Namibia ausgebildet werden.

Einen solchen Letter of Intent hat Dieter Mießen bereits unterschrieben, kaufmännischer Leiter der Frisch & Faust Tiefbau GmbH. Ihn hat der ganzheitliche Ansatz von TalentsBridge überzeugt, weil neben der bedarfsorientierten Fachausbildung die afrikanischen Azubis auch sprachlich und kulturell auf ihre Integration in Berlin vorbereitet werden. 

Ein älterer Mann steht vor einem Bagger.

Dieter Mießen, kaufmännischer Leiter und Prokurist der Frisch & Faust Tiefbau GmbH

Auch der geschäftsführende Gesellschafter der Bäcker Wiedemann GmbH, Alexander Gerstung, will über TalentsBridge neues Personal rekrutieren. „Hier werden Brücken über kulturelle Unterschiede geschlagen, und der deutsche Spracherwerb erfolgt schon vor Ort und nicht erst hier“, sagt er, Sprache sei schließlich der Grundstein für Teilhabe. Um qualifizierte Zuwanderung erfolgreich zu gestalten, müssten zudem Bildungs- und Ausbildungsabschlüsse schneller anerkannt werden oder wie im Fall der TalentsBridge schon im Heimatland erworben werden. 

Ein älterer Mann steht in einem Bäckerei-Laden.

Alexander Gerstung, geschäftsführender Gesellschafter der Bäckerei Wiedemann GmbH

„Dass die bürokratischen Hürden noch sehr hoch sind und die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse oft noch zu lang dauert, muss sich ändern“, sagt Cansel Kiziltepe, Senatorin für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung. „Im Senat haben wir gerade eine neue Fassung des Berufsqualifikationsfeststellungsgesetzes beschlossen – wir werden die Verfahren einfacher und transparenter gestalten und deren Dauer verkürzen.“ Ihre Verwaltung unterstütze die Zuwanderung internationaler Fach- und Arbeitskräfte so gut wie möglich: „Wir haben ein modernes Willkommenszentrum an der Potsdamer Straße mit einer hervorragenden Rechts- und Sozialberatung, mein Haus fördert unter anderem das Berliner Jobcoaching für Geflüchtete, die mobile Jobberatung oder das BEMA, das Berliner Beratungszentrum für Migration und Gute Arbeit.“ 

Auf dem Bild ist eine Frau mit dunklen Haaren zu sehen.

Arbeits- und Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe

Auch mit der IHK Berlin, so Senatorin Kiziltepe, arbeite man gut zusammen. Um Berliner Unternehmen bei der Akquise und der Integration ausländischer Arbeitnehmer zur Hand gehen zu können, hat die IHK das neue Projektteam „Internationale Fachkräfte“ aufgestellt. Es organisiert Veranstaltungen wie „Work in Berlin – Talente gewinnen. Vielfalt gestalten. Zukunft sichern“, die im Juni im Ludwig Erhard Haus stattfand, oder Matching-Events und Network-Treffen, führt eine LinkedIn-Seite zum Thema und hilft generell mit praxisnahen Services über den gesamten Zyklus – von der Planung über Recruiting und Einstellung, Onboarding und Integration bis zur Weiterbildung der internationalen Talente. 

Und es gibt weitere Initiativen

Gemeinsam mit der Handwerkskammer und den Berliner Jobcentern hat die IHK Ende September wieder die Jobmesse FuTog (Future Together) ausgerichtet, die Geflüchtete mit engagierten Unternehmen zusammenbringt. Fachkräfte suchen und betreuen Hand in Hand for International Talents (HiH) ist ein weiteres Projekt, das die IHK Berlin als direkter Ansprechpartner begleitet. HiH, umgesetzt von der DIHK Service GmbH in Kooperation mit der Bundesagentur für Arbeit und gefördert vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, vermittelt beruflich und sprachlich qualifizierte Fachkräfte in Brasilien, Indien, auf den Philippinen und in Vietnam nach Deutschland. Interessierte Unternehmen können potenzielle Mitarbeitende, die umfassend auf die Einreise vorbereitet und auch danach in Zusammenarbeit mit den aufnehmenden Unternehmen betreut werden, während regelmäßig ausgerichteter Recruiting Days unverbindlich kennenlernen. Nach erfolgreicher Vermittlung wird eine Dienstleistungspauschale fällig – von 2.900 Euro für Klein- bis 5.400 Euro für Großunternehmen.

In einer Hallt mit Infoständen sind Menschen zu sehen.

Die Messe FuTog war gut besucht

Die Berliner Restaurantkette Shiso Burger beispielsweise ist bei HiH bereits fündig geworden. Die verstärkte Nachfrage nach ausländischen Fachkräften hat auch dazu geführt, dass immer mehr junge Menschen aus anderen Ländern in Deutschland eine Ausbildung beginnen. Während im vergangenen Jahr die Zahl der inländischen Azubis um vier Prozent zurückging, nahm laut Statistischem Bundesamt die Zahl ausländischer Azubis um 17 Prozent zu, sie stellen nun 15 Prozent aller Ausbildungseinsteiger. Auch ein Großteil der hier Studierenden – immerhin zwei Drittel – will nach dem Abschluss zunächst in Deutschland bleiben, mehr als die Hälfte strebt nach einer Umfrage des Deutschen Akademischen Austauschdienstes hier eine langfristige Berufstätigkeit an. Und von den 1,8 Millionen Beschäftigten in Berlin haben schon über 20 Prozent keinen deutschen Pass. Tendenz steigend.