Zum "Tag des Vinyls"

Vinyl-Renaissance an der Spree

Am 12. August wird alljährlich mit dem „Tag des Vinyls“ der traditionellen Schallplatte gedacht. In Berlin gibt es gleich zwei Presswerke, die die Kult-Tonträger produzieren – für Kunden aus aller Welt und mit individuellen Designs.

Mehrere Stapel schwarzer Schallplatten und eine rote Schallplatte auf hellem Boden

Vinyl ist wieder im Kommen

Totgesagte leben länger. Diese Weisheit gilt auch für die Schallplatte, denn selbst mehr als 40 Jahre nach Einführung der CD sind die Vinylscheiben nicht ausgestorben – ganz im Gegenteil: „Der Markt wächst“, berichtet Daniel Plasch, Geschäftsführer des Berliner Presswerks Objects Manufacturing. „Mit der CD und MP3 haben wir eine Hyperdigitalisierung erlebt, und seit Spotify und Co. kommt die Musik sozusagen aus der Luft. Das hat eine Gegenbewegung ausgelöst: Es wächst der Wunsch nach etwas Haptischem.“ Dabei sind es längst nicht nur grau gewordene Nostalgiker, die zur Schallplatte greifen – auch und gerade die Gen Z hat nach Plaschs Beobachtung die Vinylscheibe für sich entdeckt.

Die Menschen lieben es, die Schallplatten vorsichtig aus der Hülle zu nehmen und den Akt des Auflegens zu zelebrieren.“
Daniel Plasch Geschäftsführer

„Die Menschen lieben es, die Schallplatten vorsichtig aus der Hülle zu nehmen und den Akt des Auflegens zu zelebrieren“, so Plasch. „Aber genauso zwingt Vinyl auch die Künstler zur Auswahl: Digital kann man einfach und günstig Musik veröffentlichen, bei einer Schallplatte denken die Musiker schon gründlich nach, bevor sie sich für diese Investition entscheiden.“ Zum Charme des analogen Tonträgers trägt sicher auch bei, dass sich Platten heute ganz individuell gestalten lassen. „Splatter-Effekt“ nennt sich das Design mit wilden radialen Farbmustern, die sich bei jedem Tonträger unterscheiden. Dazu wird der kuchenförmige PVC-Rohling in farbigem Granulat gerollt, bevor die Pressmaschine ihn zu einer neuen Schallplatte platt drückt und so eine einmalige Optik erzeugt.

Mann mit gemustertem Hemd hält eine schwarze Vinyl-Schallplatte in einem Lagerraum mit Regalen voller Schallplatten und Kartons

Eine Objects-Manufacturing-Mitarbeiter begutachtet eine frischgepresste Schallplatte.

Vinyl mit wilden Designs

Bei Objects Manufacturing können die Kunden neben den Splatter-Effekten auch einfarbige Platten von Weiß bis zum klassischen Schwarz bestellen – selbst eine goldene Schallplatte hat das Unternehmen aus Treptow-Köpenick im Angebot. Neben den wilden Designs ist Nachhaltigkeit ein wichtiges Thema für Plasch. „Wir nutzen Öko-PVC ohne Schwermetalle, produzieren mit erneuerbarem Strom und recyceln sehr viel, sodass bei uns kaum Müll entsteht – selbst aus unverkauften Schallplatten machen wir wieder neue Tonträger.“

Person mit schwarzen Handschuhen reinigt eine glänzende Schallplatte auf einem weißen Gerät

Auch goldene Schallplatten werden heute noch hergestellt.

Neun Wochen dauert es derzeit, bis ein Künstler seine neuen Schallplatten in Empfang nehmen kann. Dafür werkeln 18 Mitarbeiter an drei vollautomatischen Pressmaschinen, die etwa alle 30 Sekunden eine Vinylscheibe herstellen. Dass der studierte Jurist Plasch heute überhaupt im Schallplattengeschäft tätig ist, hat viel mit Covid zu tun. „Ich habe jahrelang Kultur-Häuser geleitet und hatte nach Ausbruch der Pandemie plötzlich nichts mehr zu tun“, erinnert er sich. „Zugleich beklagte sich ein Freund, dass er auf seine neu gepressten Platten immer länger warten musste.“ Die beiden erkannten eine Marktlücke und gründeten – gefördert von der IBB – ihr Unternehmen, das seit anderthalb Jahren erfolgreich als „Boutique-Presswerk“ (Plasch) am Markt ist.

Zwei Männer in schwarzer Arbeitskleidung stehen in einer Fabrikhalle und betrachten ein Tablet, umgeben von Maschinen und Industrieausrüstung

Mitarbeiter im Objects-Manufacturing-Presswerk

Objects Manufacturing liefert in die ganze Welt

Geliefert werden die Vinylscheiben aus Berlin mittlerweile in alle Welt – bis hin zur Mongolei und Vietnam. „Aber wir haben auch viele lokale Kunden, die bei uns an der Spree vorbeikommen, um Instagram-Videos von der Pressung ihrer neuen Schallplatte zu drehen“, so Plasch. Die Hauptstadt bietet nicht nur eine willkommene Nähe zur Kulturszene, sie beherbergt auch wichtige Partner von Objects Manufacturing: Mastering-Studios, die die Original-Musik optimal an die technischen Möglichkeiten von Schallplatten anpassen und mit einer Graviermaschine die Master-Platte herstellen – die Vorlage für die Schablonen aus Nickel und Silber, aus denen dann die Vinylscheiben entstehen. „Hier in Berlin gibt es hervorragende Mastering-Studios, die neben ihren Pendants in London zu den besten in ganz Europa gehören“, berichtet Plasch.

Intakt! ist seit 2017 am Markt

Neben dem „Newcomer“ Objects Manufacturing profitiert auch ein zweites Berliner Presswerk vom weltweiten Vinyl-Boom: „intakt!“ heißt das Unternehmen in Tempelhof-Schöneberg, das bereits 2016 gegründet wurde und seit 2017 Schallplatten herstellt. Geschäftsführer Max Gössler veranstaltete früher gemeinsam mit seinem Bruder ein eigenes Festival und wollte vor mehr als zehn Jahren auch eigene Platten herausbringen. Zehn Monate Lieferzeit erschienen ihm 2014 definitiv zu lang zu sein, sodass er sich im Internet auf die Suche nach Pressmaschinen machte. „Anfangs war es fast unmöglich – bis ein Hersteller aus Westdeutschland neue Pressen gebaut hat“, erinnert sich Gössler. „Ich habe mich gleich in den Zug gesetzt, bin hingefahren und habe danach den Business-Plan geschrieben.“

Mann mit schwarzer Baseballkappe und schwarzem Pullover mit weißem Ausrufezeichen in einer Werkstatt mit Maschinen im Hintergrund

!Intakt-Geschäftsführer Max Gössler

Vinyl als außergewöhnliches Geschenk

Heute stellen 16 Mitarbeiter pro Jahr zwischen 250.000 und 500.000 Schallplatten her, auf die man derzeit sechs bis acht Wochen warten muss. Bunte Vinylscheiben sind auch eine Spezialität von intakt!, wobei das Unternehmen neben dem Splatter-Design auch wilde Muster mit Namen wie „Orbital Radiance“, „Liquid Tie Dye“ und „Quadratic Mirage“ im Angebot hat. „Es gibt nur wenige in Europa, die das anbieten“, so Gössler. Seine Kunden sind fast ausschließlich Musiklabel oder Künstler – es gab unter ihnen aber auch einen Mann, der auf der Suche nach einem außergewöhnlichen Geschenk war. „Ein Kunde ließ zu seiner Silberhochzeit 100 Platten mit Liebesliedern für seine Frau pressen und verschenkte sie an die Gäste der Party“, so Gössler. Daran dürften sich viele Besucher noch heute erinnern – was dem Gastgeber mit einer CD oder einem USB-Stick wohl kaum gelungen wäre.

 

Objects Manufacturing
18
Mitarbeiter
arbeiten bei Objects Manufacturing an drei vollautomatischen Pressmaschinen. Pro Minute werden zwei Vinylscheiben hergestellt.
Intakt!
16
Mitarbeiter
stellen bei intakt! 250.000 bis 500.000 Schallplatten pro Jahr her.