Branchen Gesundheitswirtschaft

So kommen ausländische Fachkräfte in deutsche Kliniken

In kaum einer Branche fehlt so viel Personal wie in der Gesundheitswirtschaft. Ein Berliner Sozialunternehmen hat sich zum Ziel gesetzt, die Fachkräfteeinwanderung zu erleichtern. Dabei müssen sie einige bürokratische Hürden überwinden.

Suryann Santos Junge Frau in grüner medizinischer Arbeitskleidung blickt nach rechts, neutraler Hintergrund

Suryann Santos aus Brasilien arbeitet in der Gastroenterologie im MVZ Policum Friedenau

Zwei Mal verzweifelte Suryann Santos an ihrem Lebenstraum, Ärztin zu sein. Das erste Mal im Medizinstudium in Paraguay. Da lag ein Patient vor ihr, sein Körper übersät mit Wunden, ihr fehlten die Medikamente, selbst die Handschuhe musste sie selbst mitbringen. Sie brach zusammen. Wie sollte sie Menschen in Kliniken helfen, wenn es am Nötigsten fehlt? Dann sagte ein Arzt zu ihr: „Suryann, du bist so empathisch, du hast eine Gabe, mit Menschen umzugehen.“ Allen Widrigkeiten zum Trotz sei es ihre Berufung, Ärztin zu werden. Aber nicht in Paraguay. Also beschloss Santos, nach dem Studium nach Deutschland zu gehen, dort sollte das Gesundheitssystem gut sein, und man herrsche großer Fachkräftemangel.

Zu den Schwierigkeiten bei der Jobsuche in Deutschland gehören erstens die Sprache, zweitens die Bürokratie und drittens die unüberschaubare Masse an Informationen.“
René Rheimann Co-Gründer bei Get2Germany

Doch in Deutschland angekommen, sollte sie ein zweites Mal verzweifeln. Der Bürokratie wegen. Und das, obwohl der Gesundheitswesen hierzulande Hunderttausende Fachkräfte fehlen, die Lücke soll in den nächsten zehn Jahren auf fast zwei Millionen anwachsen. Das merkt man auch in Berlin, wo die Charité und die Vivantes-Kliniken der zweit- und drittgrößte Arbeitgeber der Stadt sind. Es mangelt allerorten an Laborpersonal, an Pflegekräften und auch an Ärzten. Ausgebildete Arbeitskräfte aus Drittstaaten könnten helfen, die Lücke zu schließen. Doch viele fühlen sich davon überfordert, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen, einen Sprachkurs und einen Job. Hilfe bietet das Berliner Sozialunternehmen Get2Germany – eine Agentur, die ausländische Fachkräfte im Gesundheitswesen, insbesondere Ärztinnen und Pflegekräfte, durch den komplexen Anerkennungsprozess ihrer Qualifikationen in der deutschen Bürokratie begleitet. Davon aber wusste Suryann Santos lange nichts.

Fachkräftemangel
824
Berliner Praxen
hat die Kassenärztliche Vereinigung 2023 zum Mangel an medizinischen Fachangestellte (MFA) befragt. Mehr als die Hälfte der Praxen hatte freie MFA-Stellen zu besetzen. Eine klare Mehrheit bestätigte, dass die Suche schwierig ist und sich zuspitzt.
Fachkräfte
400
Ärztinnen und Ärzten
aus dem Ausland hat die 2024 in Berlin gegründete Agentur Get2Germany bislang geholfen, in Deutschland Fuß zu fassen

Potential in Afrika

Vier junge Männer vor dem Hintergrund einer Lagerhalle
Fachkräfte Afrika – völlig unterschätzt
Lesezeit: 4 Minuten
Julian Algner

Die Kühle der Bürokratie

Santos wuchs in Curitiba auf, einer brasilianischen Millionenmetropole. Ihre Eltern lebten getrennt, die Mutter jobbte in zwei Krankenhäusern und zog sie in einer Zwei-Zimmer-Wohnung groß. Als sie einen Schlaganfall erlitt, musste Santos für sie sorgen, arbeitete in einer Schule, um Medikamente der Mutter zu finanzieren. Für ein Medizinstudium in Brasilien reichte es nicht, deshalb ging sie nach Paraguay, wo alles günstiger ist. Santos lernte früh, sich durchzubeißen.

Im März 2019 kam sie nach Deutschland. Sie streifte das erste Mal durch das graue Berlin, dessen Häuserschluchten sie an ihre Heimatstadt erinnerte. Sie fror, weil sie keine Jacke besaß und bald lernte sie die Kühle der Bürokratie kennen. In einem Pflegeheim hoffte sie, übergangsweise aushelfen zu können, ein beruflicher Anfang in der neuen Heimat. Ohne ein Deutsch-Zertifikat könne man sie nicht anstellen, sagte man ihr dort und überhaupt: wenn sie doch Ärztin sei, warum arbeite sie nicht als Ärztin in den hiesigen Kliniken?

Das Problem mit den Anerkennungen

Das Problem, das Santos und viele andere Mediziner und Pflegekräfte aus Drittstaaten haben, besteht darin, dass ihr Studium hierzulande nicht anerkannt wird, zumindest nicht automatisch. Um die Approbation zu bekommen, die ärztliche Zulassung, muss man seine Ausbildung von den Behörden prüfen lassen. Die Bürokratie vergleicht das Studium mit dem deutschen Standard – und kommt oft zu dem Schluss, dass die Ausbildung nicht gleichwertig ist. Dann bleibt den Antragstellern nichts anders übrig, als eine Kenntnisprüfung abzulegen. Sie entspricht der Prüfung zum dritten Staatsexamen undbesteht aus einem praktischen Teil, in dem der Prüfling einen Patienten untersucht und dabei begutachtet wird; Sowie einem theoretischen Teil, in dem Kenntnisse über Therapien abgefragt werden, über Medikamente und Gesetze. Jeder Zweite fällt durch.

Get2Germany_Gruenderteam 1 Frau, 2 Männer

Johanna Engelhardt, René Rheimann (Mitte) und Pasha Alidadi sind das Gründungsteam von Get2Germany.

Doch viele Ärztinnen und Pflegekräfte kommen gar nicht erst dazu, die Approbation zu beantragen, weil sie schlicht nicht wissen, wie. Ein Anruf bei René Rheimann von Get2Germany in Lichterfelde. Hier hat sich das 2024 gegründete Unternehmen genau zwischen FU-Campus und Charité-Campus angesiedelt. 2024 gewann die Agentur den Berliner Social Economy Preis in der Kategorie „Mensch“. Mit in der Jury saß auch die IHK Berlin.

Am Telefon nennt der Mitgründer drei Schwierigkeiten, über die Kandidaten klagen, wenn sie einen Job in Deutschland suchen: „Erstens die Sprache, von der viele sich überfordert fühlen. Zweitens die Bürokratie und drittens die unüberschaubare Masse an Informationen, die die Leute im Internet finden oder bei Behörden.“

Eine Agentur für ausländische Fachkräfte

Rheimann ist selbst Arzt und hat während der Pandemie ein Impfzentrum betrieben, da hat er Lust aufs Unternehmertum bekommen. Und er hatte mit vielen ausländischen Ärzten zu tun, die ihm von dem Problem berichteten. So kam die Idee, Get2Germany zu gründen.

Get2Germany funktioniere wie ein Computerprogramm, mit dem man die Steuererklärung erledigt – nur eben für die Approbation ausländischer Mediziner. Die Menschen melden sich an, machen einige Angaben darüber, wo sie herkommen, ob und wie gut sie deutsch sprechen und ob sie schon etwas in Sachen Approbation unternommen haben. Dann bekommen sie einen individuellen Fahrplan: Welche Dokumente brauche ich, welche Fristen muss ich beachten, wo finde ich einen Sprachkurs?

Das Konzept funktioniert. Rheimann hat Get2Germay gegründet und bislang hat 400 Ärztinnen und Ärzte begleitet. Er verspricht, den Anerkennungsprozess um sechs Monate zu beschleunigen.

Fördergelder und Investoren

Die Get2Germany GmbH durchläuft gerade zwei Finanzierungsrunden mit Investoren, dazu hat es öffentliche Gelder eingesammelt. Insgesamt rechnet das Unternehmen mit mehr als 600.000 Euro Fördergeldern. Das Ziel ist es, irgendwann Geld im B2B-Bereich zu verdienen. Kliniken sollen dann dafür bezahlen, dass Get2Germany ihre Arbeitskräfte bei der Approbation unterstützt. Viele angebotene Dienste sind kostenlos, bezahlen müssen Kunden zum Beispiel für engere persönliche Beratung oder Prüfungsvorbereitung.

https://www.get2germany.com

Neuanfang als medizinische Fachangestellte

Rheimann half auch Suryann Santos, als die ihre Hoffnung schon fast aufgegeben hatte. Die deutsche Sprache überforderte sie, eine Prüfung abzulegen, schien ihr undenkbar. Die Dokumente, die sie brauchte, um ihre Approbation zu beantragen, ihre Geburtsurkunde, ihren Lebenslauf, ein polizeiliches Führungszeugnis, hatte sie in Paraguay übersetzen lassen, dort sei es günstiger. Doch die deutschen Behörden erkannten die Übersetzungen nicht an.

Santos saß nun zuhause, kümmerte sich ihre zwei kleinen Kinder, während ihr Mann einen Job als Programmierer fand. Erst das Job-Netzwerk LinkedIn zeigte ihr einen Ausweg: Dort traf sie auf Rheimann. Der ermutigte sie, die Sprachprüfung zu schaffen – und es funktionierte. Er half ihr auch, die Dokumente für die Approbation zusammenzusammeln, sie übersetzen zu lassen und bei den Behörden einzureichen.

Dann fand sie eine feste Anstellung in einer Klinik in Friedenau. Am 1. April konnte sie als medizinische Fachangestellte (MFA) anfangen. Santos nimmt Blut ab, legt Patienten ein EKG an oder assistiert den Ärzten bei Untersuchungen. Bald will sie ihre Kenntnisprüfung ablegen und selbst praktizieren, um ihren Lebenstraum erfüllen.