Gesundheitswirtschaft

Medios macht die Medizin der Zukunft

Das Berliner Spezialpharmaunternehmen aus der Europacity will mit personalisierten Arzneimitteln in Europa groß herauskommen. Schon in diesem Jahr plant Vorstandschef Matthias Gärtner, die Marke von zwei Milliarden Euro Umsatz zu überschreiten.

Mitarbeiter in einem Labor von Medios

In Moabit hat Medios auf 4.000 Quadratmeter ein hochmodernes Reinraumlabor gebaut

Wer an der Medios-Apotheke in der Friedrichstraße, Ecke Oranienburger Straße, vorbeiläuft, ahnt nicht, welche Geschichte mit ihr verbunden ist. Im Jahr 1994 übernahm der Apotheker Manfred Schneider nach seinem Pharmaziestudium und zwei ersten Berufsjahren den Standort und gründete die „Berlin Apotheke“. An der prominent gelegenen Adresse im Bezirk Mitte glaubte der gebürtige Hannoveraner, schnell gute Geschäfte machen zu können. Doch so einfach war es nicht. Denn die Gegend am Oranienburger Tor war zur damaligen Zeit längst noch nicht so belebt wie heute. Schneider musste sich etwas überlegen, um seine Apotheke in die Erfolgsspur zu bringen. 

„Berlin Apotheke“ spezialisiert sich auf Aids

Und das tat er: Schneider spezialisiert sich auf Medikamente gegen Aids. Einmal pro Woche bietet er eine Sprechstunde für Patienten an, die an der Immunschwächekrankheit leiden. Er berät außerdem zu Arzneien und Nahrungsergänzungsmitteln, die Hilfe versprechen. Das Konzept spricht sich schnell herum und Schneiders Geschäftstüchtigkeit zeigt sich immer deutlicher. Er übernimmt weitere Apotheken, insgesamt sind es bald vier; mehr darf ein Apotheker in Deutschland nicht betreiben. Schneider stellt Medikamente in einem eigenen Labor auch selbst her und verkauft diese nicht nur in seinen eigenen Apotheken, sondern auch an andere. Er schafft es, an den vier Standorten zusammen, deutlich mehr als 100 Mio. Euro pro Jahr zu erlösen und wird so zu einem der erfolgreichsten Apotheker Deutschlands.

Aber auch damit endet Schneiders Erfolgsstory noch nicht. Er erweitert seine Spezialisierung um weitere schwere Krankheiten wie Krebs und Multiple Sklerose. Da Schneider die Medikamente im eigenen Labor produzieren kann, kann er sie auch individuell auf einzelne Patienten zuschneiden. Damit entwickelt er das Geschäftsfeld der Individualmedizin.  
 

Individualmedizin

Unter Individualmedizin werden maßgeschneiderten Therapien verstanden, die zielgerichtet auf einen einzelnen Patienten ausgerichtet sind. Künftig wird es aufgrund neuer Forschungserfolge und moderner Technologien vermehrt solche Behandlungen geben, die individuell auf genetische und gesundheitlichen Merkmale einzelner Patienten abgestimmt sind.

Portrait von Matthias Gärtner, CEO von Medion

Medios-CEO Matthias Gärtner

Matthias Gärtner bringt Medios an die Börse

Zum nächsten großen Schritt setzt der Apotheker eher zufällig an. In einer Espresso-Bar neben einer seiner Apotheken lernt er den Investor und Kapitalmarktexperten Matthias Gärtner kennen. Gärtner beschäftigt sich zu dem Zeitpunkt damit, börsennotierte Gesellschaften aufzukaufen, die keinen Geschäftsbetrieb mehr haben, und diese mit erfolgreichen mittelständischen Unternehmen zur verschmelzen – ein effizienter und relativ einfacher Weg, um Geld über den Aktienmarkt aufnehmen zu können. Gärtner war beeindruckt von dem, was Schneider machte, und Schneider fand Interesse, an dem was Gärtner ihm bieten konnte.  

So kam es, dass die Medios AG im Jahr 2016 den Sprung an die Börse schaffte und damit das Kapital für schnelles Wachstum einsammeln konnte. Matthias Gärtner stieg ins Management ein und ist heute CEO. Manfred Schneider hat im vergangenen Jahr seine Medios-Aktien verkauft.
 

Größter Anbieter von Individualmedizin

Der Medios-Konzern will in diesem Jahr die Schwelle von zwei Mrd. Euro Umsatz überschreiten. Das Unternehmen ist mit insgesamt zehn Reinraumlaboren in vier Ländern aktiv und beschäftigt 1.000 Mitarbeitende.  In Deutschland ist Medios der größte Anbieter von Individualmedizin. Pro Jahr werden mehr als eine Million individualisierte Produkte – zum Beispiel Infusionsbeutel oder Spritzen – in den Laboren hergestellt. Jede dieser Herstellungen ist lediglich für einen einzigen Patienten vorgesehen. Matthias Gärtner spricht deshalb von „Charge eins“. Er erklärt die Individualmedizin anhand der Chemotherapie: Das Medikament muss immer auf den einzelnen Patienten abgestimmt sein, also individuell zum Beispiel auf das Körpergewicht, das Blutbild sowie die jeweilige Krankheit. Die genaue Zusammensetzung der Wirkstoffe übermittelt ein Arzt an eine Apotheke, die wiederum Medios beauftragt. Was Schneider anfangs in seinen Apotheken selbst machte, wird heute von dem Berliner Spezialpharmakonzern in großen zertifizierten Reinraumlaboren hergestellt. 

Eine Person arbeitet in einem Labor von Medios

Bei Medios ist jede der Herstellungen für einen einzigen Patienten vorgesehen

Medios will in Europa wachsen und eine Plattform aufbauen

Der nächste ganz große Wachstumsschritt soll sich für Medios aus der personalisierten Medizin ergeben. Damit sind Gen- und Zelltherapien gemeint: Zellen, die den Patienten in der Regel in Form von Blut entnommen werden, werden im Labor gentechnisch verändert und dem Patienten wieder verabreicht. Diese hochkomplexen Prozeduren werden von Biotech-Unternehmen oder den ganz großen Pharmakonzernen entwickelt. In der Anwendung bedarf es vor Ort spezialisierter Anbieter wie Medios, die in der Lage sind, die personalisierten Prozesse zu bewältigen und die Erzeugnisse zu den Patienten zu bringen. „Es werden immer mehr solcher Therapien auf den Markt kommen“, sagt Medios-CEO Matthias Gärtner. „Derzeit sind es nur ein paar Dutzend, die Biotechs und Pharmakonzerne haben aber schon mehr als 3.000 in der Pipeline.“ 

In anderen Städten oder in Berliner Randlagen würden wir angesichts unseres Wachstums nicht genügend qualifizierte Mitarbeiter finden.“
Matthias Gärtner CEO

Um an dieser Entwicklung einen maßgeblichen Anteil haben zu können, baut Medios eine europäische Plattform für die personalisierte Medizin auf. „Wir haben aufgrund unserer Tätigkeit in der Individualmedizin das Know-how, um mit der Plattform zu einem Partner der Industrie zu werden, der alles abdeckt, was Charge-eins-Therapien betrifft“, sagt Matthias Gärtner. Neben den Laborleistungen gehört auch die Logistik dazu. 
Gärtner managt das Unternehmen vom Headquarter in der Heidestraße in der Europacity aus. Medios verfügt noch über ein weiteres Gebäude in Berlin-Moabit, in dem auf 4.000 Quadratmetern ein hochmodernes Reinraumlabor sowie Lager betrieben werden. Vor zwei Jahren wurden elf Mio. Euro in den Standort investiert. Von hier aus wird ein großer Teil des Deutschland-Geschäfts bearbeitet. Dass ein so zentraler Standort für Produktion und Logistik gewählt wurde, begründet Matthias Gärtner mit dem Fachkräftebedarf. „In anderen Städten oder in Berliner Randlagen würden wir angesichts unseres Wachstums nicht genügend qualifizierte Mitarbeiter finden. Ich erlebe immer wieder, dass Bewerber aus anderen Regionen sagen: Nach Berlin wollte ich schon immer mal ziehen.“