FACHKRÄFTE

Geflüchtete gegen den Fachkräftemangel in der IT

Die Unternehmen suchen händeringend nach Arbeitskräften mit IT-Kenntnissen. Die Berliner ReDi School hat dafür eine Zielgruppe erschlossen: Geflüchtete. Bisher erschweren Sprachbarrieren und Bürokratie ihre Integration in den Arbeitsmarkt. Es gibt aber Wege - und jede Menge motivierte Menschen.

Personen auf der Bühne

ReDi-School-Absolvent Amro Ali mit der Schulgründerin Anne Kjær Bathel (rechts) und Hellen Fitsch von Alis Arbeitgeber Accenture.

Amro Ali bekam wenig Chancen, Karriere zu machen. Als er noch in Ägypten lebte, hatte er einen Job bei einem Klimaanlagen-Hersteller. Der Chef war streng und ließ ihm kaum Freiraum. Oder als er seinen Bachelor in Alexandria in der Tasche hatte und er unbedingt nach Deutschland wollte für den Master, da hinderte der “Arabische Frühling” ihn daran, zu gehen. Als es dann doch klappte, er nach Münster konnte und bald den Ingenieurs-Master schaffte, da wollte ihn niemand. Mehr als 100 Bewerbungen hatte er damals geschrieben. Dann sah er bei Facebook die Anzeige der ReDI-School: Eine Ausbildung zum Programmierer speziell für Geflüchtete, auch um Webdesign ginge es. Der Fachkräftemangel machte es möglich.

Die Idee ist eine Win-Win-Win-Situation. Flüchtlinge bringen Fähigkeiten mit und suchen Arbeit. Die deutsche Industrie sucht dringend Fachkräfte.“
Anne Kjær Bathel Gründerin der ReDi School

Die ReDI-School ist eine Programmierschule, die sich vor allem an Geflüchtete und Menschen mit Migrationsgeschichte richtet. Außerdem spricht sie inzwischen auch "Newcomer" und Einheimische an, die keinen Zugang zu digitaler Bildung oder einem professionellen Netzwerk haben, aber einen Bildungsgutschein von der Arbeitsagentur. Die Schülerinnen und Schüler lernen dort die ganze Bandbreite der IT, von Word bis Webdesign. Ali hatte schon vorher eine gewisse Leidenschaft fürs Programmieren entwickelt und an der Uni einige Kurse besucht. Er liebte es, sich in die Befehle zu vergraben, zu rechnen und falls der Computer einen Fehler ausspuckte, den Code wieder auseinanderzupflücken. Doch sein Wissen reichte nicht für einen Job. Erst der Kurs für die Programmiersprache Java an der ReDi-School qualifizierte ihn. Heute, acht Jahre später, arbeitet er bei der IT-Beratungsfirma Accenture, hat mit internationalen Kunden zu tun und leitet eigene Teams.

Die ReDi School befähigt Menschen mit Flucht- oder Migrationsgeschichte nicht nur dazu, digitale Kompetenzen zu erwerben, sondern schafft durch Mentoring und ein starkes Netzwerk echte Chancen für den Berufseinstieg.“
Hellen Fitsch Leiterin Corporate Citizenship, Accenture DACH-Region

Die ReDI School leistet Beeindruckendes”, betont Hellen Fitsch, Leiterin Corporate Citizenship bei Accenture im deutschsprachigen Raum. Sie befähige Menschen mit Flucht- oder Migrationsgeschichte nicht nur dazu, digitale Kompetenzen auf hohem Niveau zu erwerben, sondern schaffe durch Mentoring und ein starkes Netzwerk echte Chancen für den Berufseinstieg: “Als Partner sind wir stolz darauf, diese Mission zu unterstützen – und wir sind immer wieder beeindruckt von der Motivation, dem Talent und der Professionalität der Absolventinnen und Absolventen.“

Eine Vorzeigekarriere

Alis Karriere zeigt man bei der ReDI-School gerne vor, denn sie zeigt, dass das Konzept funktioniert. Jede und jeder kann sich auf Kurse bewerben, man braucht nicht mal Vorkenntnisse, sollte aber großes Interesse und die Bereitschaft mitbringen, Webdesign zu lernen oder Programmierer zu werden. Die Idee ist, Menschen aus dem Ausland den Zugang zur IT-Branche zu erleichtern – und damit etwas gegen den Fachkräftemangel zu tun. Der Branchenverband Bitkom klagt, in Deutschland fehlten aktuell 149.000 IT-Fachkräfte, bis 2040 könnten es sogar mehr als ein 600.000 sein. Gleichzeitig leben alleine in Berlin mehr als 130.000 Geflüchtete. „Die Idee ist eine Win-Win-Win-Situation. Flüchtlinge bringen Fähigkeiten mit und suchen Arbeit. Die deutsche Industrie sucht dringend Fachkräfte. Und Deutschland braucht gelungene und schnellere Integration“, erklärt die Gründerin Anne Kjær Bathel.

Lücke
149.000
IT-Fachleute
fehlen zurzeit laut Branchenverband Bitkom in Deutschland. Bis 2040 könnten es vier Mal so viele sein.
Fachkräfte
7000
Menschen
aus fast 100 Nationen hat die ReDi School zu IT-Fachleuten ausgebildet, rund die Hälfte von ihnen fand eine entsprechende Anstellung.

Vor zehn Jahren, als Angela Merkel verkündete: „Wir schaffen das!“, half Bathel in einem Berliner Camp für Geflüchtete. Dabei lernte sie einen jungen Programmierer aus dem Irak kennen. „Er hatte große Angst, in Deutschland nicht weiterarbeiten zu können“, erzählt Bathel. Zuerst habe sie überlegt, ihm ihren alten Laptop zu schenken. Dann tippte sie lieber einen Facebook-Post: Wenn ich eine Tech-Schule gründe, wer unterstützt mich? „Am nächsten Tag haben sich 20, 30 Leute gemeldet“, erinnert sie sich. Spende einen Laptop, schrieb eine Person. Kann unterrichten, die nächste, habe keine Ahnung von Tech, aber würde einen Kuchen backen, schrieb eine andere.

Frauengruppe sitzend im Raum, blauer Hintergrund

ReDi-Schülerinnen bei einem Kurs der Berliner ReDi School, vorn im Bild: Alla Vivian.

Mittlerweile gibt es neben Berlin weitere Standorte, in München, Hamburg oder Malmö. Mehr als 7.000 Menschen aus fast 100 Nationen wurden ausgebildet, etwa die Hälfte hat eine Anstellung in der IT-Branche bekommen. Für das Engagement gegen den Fachkräftemangel wurden Bathel und ihr Team im vergangenen Jahr mit dem zweiten Platz des Berliner Social Economy Awards ausgezeichnet, bei dem auch die IHK Berlin zur Auswahl-Jury gehörte.

Ein Samstag im April in einem ehemaligen Fabrikgebäude in Kreuzberg. Im Kurs zu UX/IX-Design sind die Tische im Hufeisen arrangiert, die Teilnehmerinnen diskutieren gerade eifrig darüber, wie eine Website auszusehen hat. Die Lehrkraft gibt zu bedenken: „Bevor ihr anfangt, eine Website zu designen, überlegt, wie könnt ihr sie für alle verständlich machen.“ Eine zu kleine Schriftart könnte ältere Menschen ausschließen, grelle Farben bereiteten Menschen mit ADHS-Schwierigkeiten. Eine Teilnehmerin merkt an: „Die meisten Apps hierzulande sind auf Deutsch.“ Die nächste sagt. „Ja, da fühlt man sich wie blind.“

Inklusion und Integration inklusive

An der ReDI School werden Inklusion und Integration in den Kursen mitgedacht, der deutsche Arbeitsmarkt kann da nicht mithalten. Die Sprache sei die größte Hürde, wenn es darum geht, Menschen in Jobs zu bringen, erklärt Anne Kjær Bathel. Selbst in der IT-Branche werde oft Deutsch gesprochen, obwohl die meisten Unternehmen weltweit tätig sind. „Langfristig wäre es sicher eine gute Entscheidung für Unternehmen, auf Englisch umzustellen. Je sprachoffener, desto attraktiver sind Unternehmen für internationale Fachkräfte“, sagt sie. Bathel spricht noch von einer weiteren Hürde: „Für Geflüchtete ist es unglaublich schwer, einen Bildungsgutschein zu bekommen“, sagt sie. Das alte Thema: Zu viel Bürokratie.

Für Unternehmen wäre es eine gute Entscheidung, auf Englisch umzustellen. Je sprachoffener, desto attraktiver sind sie für Fachkräfte“
Anne Kjær Bathel Gründerin der ReDi School

Die Kurse an der ReDI School sind kostenlos, doch für einige fortgeschrittene Programme brauchen die Schülerinnen und Schüler einen Bildungsgutschein von der Arbeitsagentur. Doch den bekämen nur 3,5 Prozent der Geflüchteten, die IT lernen wollen, bei Einheimischen würden 96 Prozent der Fälle bewilligt, sagt Bathel. „Das muss für Menschen mit Migrationsgeschichte einfacher werden“, kritisiert sie.

Muzna Shammout floh 2017 aus Syrien nach Deutschland. Hier will sie Bürokraft werden.

Powerpoint im Einstiegskurs

Zurück im Unterricht in Kreuzberg. Im Einstiegskurs geht es um PowerPoint. Eine der Schülerinnen ist Alla Vivian, in ihrem früheren Leben in der Ukraine war sie schon einmal Lehrerin. In der Metropole Charkiw hatte sie Englisch-Unterricht gegeben. Doch als die russischen Bomben fielen, floh sie nach Deutschland. Nun starrt sie in ihren Laptop und versucht, das Bild eines bunten Kuchens auf eine PowerPoint-Folie zu schieben. Die Aufgabe: Baut eine Präsentation zu eurem Lieblingsgericht. „Zwei Minuten habt ihr noch“, erinnert die Lehrkraft. Neben ihr sitzt Muzna Shammout, eine Palästinenserin, die 2017 aus Syrien kam. Sie positioniert gerade eine Börek-Stange.

Eine Karriere in der IT-Branche können sich beide nicht vorstellen, alleine Excel falle ihnen so schwer. Vivian will ihre IT-Kenntnisse etwas aufbessern. Shammout irgendwann mal einen Job als Bürokraft finden. Da müsse sie schließlich auch mit Computern arbeiten.

Vivian Alla sitzt am Tisch mit Laptop

Alla Vivian kämpft noch mit Excel, will aber endlich bessere IT-Kenntnisse erlangen.

Eine ganz besondere IT-Schule

Die “ReDI School of Digital Integration” ist eine gemeinnützige Technologieschule, die kostenlosen Zugang zu digitaler Bildung bietet. Ziel ist, Neuankömmlinge und Einheimische gleichermaßen schneller in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Seit 2016 bietet die Schule eine Vielzahl von Kursen an, von Computer-Grundlagen bis hin zu fortgeschrittenen technischen Kursen. Darüber hinaus gibt es ein Karriereprogramm mit Mentoring, Karriereworkshops, Unternehmensbesuchen, Jobvermittlung und vielem mehr. Ein Semester dauert 3-4 Monate (in Teilzeit), die Lehrkräfte sind ehrenamtliche Technikexperten. Die ReDi School wurde in Berlin gegründet und hat Filialen in Düsseldorf, Hamburg, München so wie in den dänischen Städten Malmö und Kopenhagen.

www.redi-school.org