Strafabgabe für alle Berliner Unternehmen droht!

Ab 2027 droht die sogenannte Ausbildungsplatzumlage.

Das Gesetz würde jedes Unternehmen zusätzlich belasten ohne die eigentlichen Probleme auf dem Ausbildungsmarkt zu lösen. Statt mehr Ausbildung drohen mehr Bürokratie, Klagen und Unsicherheit.

Gründer und mentale Gesundheit

„Darum bekommen Gründer doppelt so oft eine Depression“

Die Berlinerin Nora Dietrich weiß, wovon sie spricht: Als gelernte Psychotherapeutin hat sie ein Buch über mentale Gesundheit von Unternehmern geschrieben – und selbst eine Firma gegründet.

Auf dem Bild ist eine blonde Frau mit blauem Puulover zu sehen, die auf einem Stuhl sitzt.

Mit ihrem Unternehmen Between People berät Nora Dietrich viele Gründerinnen und Gründer von Start-ups beim Thema mentale Gesundheit

Frau Dietrich, Sie beraten viele Menschen aus der Berliner Start-up-Szene. Wie steht es da um die mentale Gesundheit?

Gründerinnen und Gründer determinieren die Organisationskultur, die sie bauen. Das sind extrem intelligente Menschen, die eine Vision haben und die ohne Grenzen arbeiten. Weil es eben etwas gibt, was größer ist als sie selbst. Das hat eine identitätsschaffende und sinnstiftende Wirkung. Aber es führt eben auch dazu, dass sie die eigenen Grenzen übersehen. Eine Gründerin hat mal zu mir gesagt, dass sie lieber sich selbst verbrennt als ihr Unternehmen.

Hier geht’s zum Festival
#PCF25

Das People & Culture Festival

Nora Dietrich spricht am Donnerstag, 9. Oktober, auf dem Berliner People & Culture Festival zum Thema ihres Buches „Mental Health at Work“. Das Event richtet sich an Arbeitgeber, Talente und Bildungspartner. Es findet zwischen 10 und 20 Uhr im Kino Colosseum an der Schönhauser Allee 123 statt. Unter dem Motto „Resilience Ready!“ will das PCF25 Tools, Impulse und Strategien bieten, um physische und psychische Gesundheit im Job zu stärken und Zukunftskompetenzen zu fördern. 

Erwarten die Gründer diese Einstellung auch von ihren Teams? 

Häufig schon. Dabei haben die Mitarbeitenden nicht dieselben finanziellen Anreize zu erwarten wie die Gründer selbst. Da entstehen im Verständnis manchmal Gaps, deshalb ist es wichtig, dass Menschen, die gründen, sehr selbstreflexiv sind. Auch weil in vielen Start-ups Berufsanfänger arbeiten.  

 

Gibt es Erkenntnisse darüber, wie es Gründerinnen und Gründern mental geht? 

Ja, das ist gut erforscht. Sie werden doppelt so häufig depressiv, entwickeln dreimal so wahrscheinlich eine Substanzabhängigkeit. Sechsmal so häufig haben sie ADHS, zehnmal so häufig werden bipolare Störungen diagnostiziert. Auf der einen Seite steht da diese innovative Schöpferkraft, die man braucht, um Risiken einzugehen. Diese Persönlichkeitsstruktur hat aber eine höhere Verletzlichkeit gegenüber psychischen Erkrankungen. Das braucht Support und Coaching, weshalb ich gerade am Anfang meiner Selbstständigkeit viel mit jungen Gründern gearbeitet habe. Manche von ihnen waren gerade mal 17 Jahre alt. 

Traurige Unternehmer
+100 %
Depressionen
stellen Studien bei Gründerinnen und Gründern fest, im Vergleich zur Gesamtbevölkerung.
Gestresste Gründerinnen
+500 %
ADHS
stellen Studien bei Gründerinnen und Gründern fest. Zu viel Arbeit und zu wenig Schlaf vermindern die Aufmerksamkeitsspanne.

Warum ist es noch immer nicht selbstverständlich, dass wir über mentale Gesundheit am Arbeitsplatz sprechen? 

Die Menschen, die jetzt um die 40 Jahre alt sind, sind groß geworden mit Generationen, in denen es unglaublich viele unbehandelte psychische Erkrankungen gab. Die Silent Generation war extrem verschwiegen. Mentale Gesundheit galt als Schwäche, und in Krieg und Nachkriegszeit gab es dafür einfach keine Zeit.  

  

Die Entstigmatisierung ist vor allem in den letzten zehn Jahren vorangeschritten. 

Richtig, wir sehen, dass mehr Millennials und Menschen aus der Gen X – sogar die Babyboomer! – Therapie wahrnehmen. Da ist ein großer Wunsch zu sagen: Mentale ist genauso wichtig wie körperliche Gesundheit. In der Arbeitswelt ist es spätestens in der Pandemie deutlich geworden. Den Unternehmen wurde auf einmal klar, dass sie etwas dafür tun müssen, damit ihre Mitarbeitenden leistungsfähig und bei ihnen bleiben. 

Ein Workshop beim People & Culture Festival 2024

Warum ist es vor allem für Führungskräfte wichtig, mentale Gesundheit auf dem Schirm zu haben? 

Wir wissen, dass Stress und Emotionen extrem ansteckend sind. Vor allem von oben nach unten. Weil die Menschen für Orientierung, Sicherheit und Strategie nach oben gucken. Es entsteht ein Ripple-Effekt nach unten, sowohl mit positiven Facetten als auch mit den eher negativ assoziierten Emotionen.  

  

Wie steht es aktuell um die mentale Gesundheit in Deutschland? 

Momentan leiden 29 Prozent der Beschäftigten an einer psychischen Erkrankung. Und arbeiten trotzdem. Zum Teil wissen sie es selbst nicht einmal.  

  

„Die Deutschen arbeiten zu wenig“ – was halten Sie von dieser These? 

Die Diskussion empfinde ich als ein wenig einfältig. Wir sprechen immer nur darüber, wie viel wir arbeiten. Dabei geht es doch vielmehr darum, wie wir arbeiten. Ich glaube, dass Menschen total okay damit sind, in Krisenzeiten die Ärmel hochzukrempeln und mehr zu geben. Wenn man ihnen transparent erklärt, warum das jetzt wichtig ist und wie wir gesellschaftlich davon profitieren.  

41 Prozent unserer Arbeit ist Fake Work, in der wir in absurden Dingen festhängen, die keinen Mehrwert stiften.“
Nora Dietrich Psychotherapeutin und Gründerin

Was lähmt die Menschen bei der Arbeit am meisten? 

Bürokratie und Regulatorik, gleichzeitig wird Innovation klein gedrückt. Ich nenne das in meinem Buch „Diagnose Bürosklerose“. Es geht um die Frage, in wie vielen Prozessen wir wertvolle Arbeitszeit verlieren. 41 Prozent unserer Arbeit ist Fake Work, in der wir in absurden Dingen festhängen, die keinen Mehrwert stiften und unserem eigentlichen Ziel nicht näher kommen. 

 

Wie könnte das verbessert werden? 

Wir müssen uns fragen, wie wir das System stören. Anstatt es auf den Einzelnen zu schieben, der sich durchbeißen und resilienter sein soll, brauchen wir echte Veränderung: ein System, das Gesundheit in den Strukturen und der Kultur verankert.  

 

Nach acht Stunden Arbeit kommt meist nichts mehr Gutes heraus.  

Und ab 55 Wochenstunden steigt das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen wie etwa Schlafstörungen erheblich. Regeneration ist einfach Teil von einem Leistungsschema, wie das bei Athleten auch ist. Leistung ist eine Sinuskurve, man braucht den Peak, aber genauso die Erholung, um wieder zum Peak zu kommen. 

 

2025 wurden Sie selbst zur Gründerin. Wie kam es dazu? 

Meine Selbstständigkeit ist in den drei Jahren zuvor extrem schnell gewachsen. Das Thema wurde auf einmal riesig – und ich und meine Mission waren schon da. Ich spürte auch, dass ich mit einem Team mehr bewegen kann. Daher habe ich mit meinem Partner Jonny Camara Between People gegründet. 

 

Welche Rolle hat Berlin bei der Gründung gespielt? 

Ich lebe in Berlin-Kreuzberg. Das ist ein Ort, an dem Inspiration, Kreation und radikale Perspektiven aufeinandertreffen. Und es gibt ein großes Gründernetzwerk. Berlin ist für mich eine grenzenlose Stadt, das ist gut und schlecht zugleich. Aus Unternehmerinnenperspektive ist das cool. Wenn ich in Hamburg geblieben wäre, wo ich vorher gelebt habe, wäre ich wahrscheinlich nie diesen Weg gegangen.  

 

Warum? 

In meinem Umfeld waren ganz tolle Leute, aber alle sehr sicherheitsaffin. In Berlin wird man hingegen darin bestärkt, etwas Neues auszuprobieren. Die Vorstellungskraft wird dadurch eine andere. Außerdem ist mir Diversität sehr wichtig, da bleiben in Deutschland neben Berlin nicht viele Flecken übrig.

Therapeutin, Gründerin, Autorin

Nora Dietrich (36) wurde in Berlin geboren, sie ist Psychologin und Psychotherapeutin. Nachdem sie als Therapeutin tätig war, wurde sie Director of People bei einer Berliner Designagentur, später arbeitete sie bei einer Beratung. Nebenbei war sie immer selbstständig. 2025 erschien ihr Buch „Mental Health at Work“. Schon im Vorjahr gründete Dietrich ihr Start-up Between People, das unter anderem Mental-Health-Trainings für Führungskräfte anbietet und Unternehmen zu gesunden Organisationsdesigns berät. Nora Dietrich lebt in Berlin-Kreuzberg.