Coworking-Cafés für Kreative

Ansgar Oberholz: Er gründete das „Homeoffice“ der Berliner Startups

Vor 20 Jahren eröffnete er in Berlin-Mitte das St. Oberholz. Heute befürchtet der Co-Gründer des Coworking-Cafés: „Beim Venture Capital wird München Berlin in den nächsten Jahren ablösen.“

Mann mit kurzem Haar trägt schwarzen Pullover vor grüner Tafel

Ansgar Oberholz

Herr Oberholz, Ihr Café am Rosenthaler Platz gilt als das Café der Digitalarbeiter und als Treffpunkt der Startup-Szene. Wäre ein Ort wie das St. Oberholz auch in einer anderen Stadt denkbar gewesen?  

Freiheit, niedrige Lebenshaltungskosten, Behörden, die ein Auge zudrücken: Die digitale Boheme funktionierte damals so nur in Berlin. Im Kern waren das ja eher prekäre Verhältnisse, alles Freelancer, von großer Freiheit geprägt. Als dann die zweite Startup-Phase kam, hat das alles seine Unschuld verloren.

Das müssen Sie uns erklären. 

Plötzlich floss überall Geld. Es gab eine Zeit, in der die Startup-Welt so war, wie sie nur in Berlin sein konnte: Es musste nicht gleich zu einem Exit führen. Aber die Szene ist erwachsen geworden. Seit ungefähr drei Jahren müssen Startups profitabel sein, sonst werden sie häufig nicht weiter finanziert.

Warum ist das negativ? 

Ich glaube nicht, dass das für alle innovativen Geschäftsmodelle gut ist. Der Druck lässt Startups Dinge tun, die dem Produkt und den eigentlichen Werten entgegenwirken. Amazon war in den ersten zehn Jahren nicht profitabel. Mittlerweile geht zudem auch immer mehr Venture Capital nach München.

 

Drei Personen sitzen an Tischen mit Laptops und Monitoren, darüber hängt eine Speisekarte mit Getränkepreisen in deutscher Sprache

Woran liegt das? 

Berlin hat Google damals nicht in Kreuzberg angesiedelt. Die sitzen jetzt in München, da ist auch Apples größtes Entwicklungszentrum in Europa, das weiter ausgebaut wird, Microsoft sowieso – das zieht Startups an. Berlin hat hier verschlafen, viele große Firmen sind weg.

Für welche Startups ist Berlin immer noch der beste Ort? 

Für digitales Marketing und alles, was kreativ ist. Das könnte auch mit Hinblick auf KI eine neue Chance sein. München wird Berlin aber in den kommenden Jahren als Startup- und Venture-Capital-Hot-Spot ablösen. Das zeichnet sich bereits heute deutlich ab. 

Was zieht Talente heute noch nach Berlin? 

Das Nachtleben! Es ist wirklich nicht zu unterschätzen, ein freies Nachleben suchst du weltweit immer mehr – für die Tech-Talents ist Berlin deshalb sehr attraktiv. Das Berghain ist ein Standortvorteil, ob man das gut findet oder nicht.

Ecke eines Gebäudes mit beschädigter Fassade, darüber ein Schild mit einer Kuhzeichnung und dem Text 'Nicht jede Kuh lässt sich melken'

Sanierung: Als das St. Oberholz sein heutiges Aussehen bekam.

Berlin ist also immer noch ein kleines bisschen sexy? 

Berlin ist nach wie vor die anziehendste Stadt Deutschlands und auch weltweit einer der besten Orte. Man hat hier immer noch einen hohen Grad an Freiheit, auch wenn er geringer ist als in den 90er-Jahren. Die störrische alte Diva bleibt einzigartig.

Sie hatten schon Jahre vor der Coronapandemie den richtigen Riecher, dass Arbeit ortsunabhängiger und dezentraler wird. Wie war das für Sie, als es in vielen Firmen dann auf einmal möglich wurde, von zu Hause zu arbeiten? 

Corona hat die Entwicklung von jetzt auf gleich um fünf Jahre nach vorne gezogen, wie ein Turbolader. Plötzlich konnten Mitarbeitende von zu Hause aus auf Server zugreifen, was vorher oft als unmöglich dargestellt wurde. Die Macht des Faktischen ist manchmal sehr heilsam. Aktuell kommen wir in einen Arbeitgebermarkt, die Unternehmen rufen ihre Leute zurück ins Office, weil sie es können. Das ist kulturell nicht sinnvoll – es muss andere gute Gründe geben, ins Büro zu kommen. Trotzdem ist das Homeoffice nicht die Antwort auf alles.

Mann in blauem T-Shirt und Jeans sitzt auf einer Holztreppe in einem Raum mit rotem Wandbild eines Stiers und gelber Stehlampe

Der junge Ansgar Oberholz im neu eröffneten St. Oberholz

Sie kamen 1992 von Trier nach Berlin und erfanden das Arbeiten jenseits des Büros. Wie kam es dazu? 

Nach meinem Zivildienst gab es für mich nur einen Ort: Berlin! Also stand ich mit meinem Seesack am Bahnhof Zoo. Ich war fasziniert: Du konntest einfach in ein leeres Ladengeschäft gehen und etwas aufmachen. Ich hatte mir selbst Programmieren beigebracht, das war mein erster Berührungspunkt mit der Szene: Für einige Startups baute ich Websites. Und dann kam das St. Oberholz ins Spiel…

…das noch im Jahr 2000 ein Burger King war, später ein Nachtclub und dann irgendwas zwischen Tabledance-Bar und Bordell. 

Genau, der Hausbesitzer wollte für diesen ungewöhnlichen Ort mit so viel Geschichte einen Neustart, 1898 von den Aschingers als neunte Bierquelle erbaut und betrieben. Ein Ort für die Boheme der 20er-Jahre. Zu DDR-Zeiten wurden halbe Hähnchen verkauft, es gab Prügeleien, oben war eine Tanzfläche. 1990 dann der erste Burger King auf dem Gebiet der ehemaligen DDR.

Historische Fassade des Restaurants Aschinger in einer belebten Straßenecke mit Passanten und Pferdekutschen

Historische Fassade des Restaurant Aschinger

Als das St. Oberholz 2005 eröffnete, gab es keine Smartphones, kein Facebook. 

Aber Blogs! Das war das Lebensgefühl: Jeder ist plötzlich Sender. Die erste Startup-Blase war da bereits geplatzt. Privat fand ich mich in einer Patchwork-Familie wieder, das war damals noch sehr ungewöhnlich. Ich wollte ortsunabhängig arbeiten, um bei den Kindern zu sein. Laptops waren allerdings eher Vertrieblern vorenthalten. Die Haltung war: Oh Gott, der arme Kerl muss unterwegs arbeiten.

Sie wollten also einen Ort schaffen, in dem Sie selbst arbeiten können? 

Richtig, ein cooler Ort, an dem es okay ist, den Laptop aufzuklappen. Ich habe das alles zusammen mit Koulla Louca aufgebaut. Unsere Stammgäste, etwa Sascha Lobo, hüpften hinter die Theke, um den Router neu zu starten. Das WLAN so stabil zu organisieren, dass alle online sein können, war unser größtes Problem.

Menschenmenge vor dem Café 'St. Oberholz' an einer Straßenecke in Berlin bei Dämmerung

Heute ist der Rosenthaler Platz viel belebter als vor 20 Jahren.

Wie wurde das zum Geschäftsmodell? 

Wir sahen, dass da eine starke, ungewöhnliche Community entstand, wussten aber nicht, wie wir sie weiter beleben und gleichzeitig wirtschaftlich sein können. Wir haben das gastronomische Konzept mit Lunch und Bar am Abend erweitert, im Haus gab es zwei Ferienwohnungen, um den Umsatzmangel aufzufangen. Das lief gut, gleichzeitig war klar, dass wir das nicht skalieren können.

Wie ging es weiter? 

2008 kam der Gründer von Soundcloud auf mich zu. Er hatte im St. Oberholz gegründet, wollte jetzt in die Factory ziehen. Die war aber nicht fertig. Da haben wir in einer Nacht- und Nebelaktion die beiden Ferienwohnungen zu Büros umfunktioniert. Das war der Moment der Erleuchtung: Auf einmal hatten wir ein Geschäftsmodell, das zu dieser Community passt, und dabei gleichzeitig skalierbar ist. Später haben wir das gemacht, was man heute Coworking und flexible Büros nennt. Rückblickend war vieles intuitiv und natürlich nicht durchgeplant.

Und wie wird sich die Arbeitswelt in den kommenden Jahren verändern? 

Wir unterschätzen alle KI. Bei uns checken kleine Teams von vier Leuten ein. Wie viel Umsatz sie mit KI machen! So etwas werden wir immer häufiger sehen. Es wird extrem schnell wachsende Unternehmen geben, die kaum noch Menschen brauchen, das wird die gesamte Wirtschaft verändern. Wir werden uns auf Dinge besinnen müssen, die wirklich nur Menschen tun können. Ich finde, das ist positiv, denn Menschen sollten doch von sinnloser Arbeit befreit werden. 

https://sanktoberholz.de/