Berlin-Kreuzberg, Glogauer Straße, zweiter Hinterhof, vierte Etage: Hier hat die Innovationsagentur und -beratung Dark Horse ihren Sitz. Für Kunden wie SAP, Telekom, Audi, Lufthansa oder die Deutsche Bahn erarbeitet sie Produkt- und Service-Designs. Sie hilft Unternehmen, ihre digitale und agile Transformation zu meistern, entwickelt spezielle Arbeitsumgebungen und Workspace-Designs und bietet Trainings, Workshops und Weiterbildungen an. Gegründet wurde Dark Horse vor rund zehn Jahren von Absolventen der School of Design Thinking des Hasso-Plattner-Instituts an der Uni Potsdam. Die 30 Frauen und Männer aus 25 verschiedenen Disziplinen wollten nicht in akkuraten Bürostrukturen ihre Zeit absitzen oder in starren Hierarchien festhängen, sondern in einer neuen Arbeitswelt gemeinsam kreativ und produktiv sein – auf Augenhöhe und mit Empathie.
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Um eine Organisationsform für ihre Agentur zu finden, sprachen sie auch mit dem Benediktinerpater Anselm Grün und einem früheren Prior des Klosters Andechs. Und so kamen sie auf die Idee, sich nach dem Prinzip klösterlicher Wirtschaftsgemeinschaften einzurichten, wo jeder einzelne Mönch sich in die Gemeinschaft einbringt, die wiederum für ihn sorgt. „Auch bei uns gibt es Mönche und Pilger“, sagt die Betriebswirtin Mia Konew, „Mönche sind die, die hier durchgehend arbeiten, und Pilger die, die zeitweise – manchmal jahrelang – rausgehen, woanders arbeiten oder lehren, um dann wieder mit neuen Erfahrungen und Kontakten zurückzukommen.“ Einmal im Jahr gibt es einen Commitment Day, an dem Auszeit-Wünsche angemeldet werden können. Wer draußen ist, wird von festen freien Mitarbeitern aus dem Freundeskreis oder dem Dark-Horse-Netzwerk ersetzt.
Seit 2016 wird bei Dark Horse nur an vier Tagen in der Woche gearbeitet, freitags hat man in der Regel frei. „Ansonsten“, sagt Mia Konew, „experimentieren wir ständig, wie wir unsere Arbeits- und Entscheidungsstrukturen mitarbeiterzentrieren können.“ Die inzwischen vielfach ausgezeichnete Agentur sei soziokratisch organisiert: „Entscheidungen werden nur gemeinsam getroffen, allerdings sind schwerwiegende Einwände einzelner Gründer möglich – die müssen dann einen Gegenvorschlag machen, über den neu entschieden wird.“
Ein Preis für den besten Fehler
Fehler, die in anderen Unternehmen tabu sind, dürfen bei Dark Horse gemacht werden, weil man daraus lernen kann. Für die besten Fehler gibt es sogar einen Preis, den Failure Award. Mia Konew: „Wir finden es schön, dass wir hier diesen Raum haben, wo alle wissen: Es kann nicht immer alles perfekt und gut sein.“ Eine Einstellung, die auch Melinda Eggert und Jenny Eckermann teilen. Die beiden Expertinnen setzen New-Work-Ansätze bei der IHK Berlin um: „Fehler machen und daraus lernen gehört zum Arbeitsalltag“, sagen sie, „denn nur wenn ein Rahmen geschaffen wird, in dem Veränderungen überhaupt möglich sind, können die auch gelingen.“

Die neue Arbeitswelt – New Work –, wie sie bei Dark Horse praktiziert und gelebt wird, sei sicherlich nicht auf jedes Unternehmen übertragbar, weiß Betriebswirtin Konew. „Aber wer sich als Unternehmer nicht mit New Work auseinandersetzt, wird es schwer haben, in Zukunft noch wettbewerbsfähig zu bleiben.“ Der Begriff New Work, Mitte der 80er-Jahre vom österreichisch-amerikanischen Philosophen Frithjof Bergmann vor dem Hintergrund der technologischen Umwälzungen erfunden, steht heute für eine flexible und selbstbestimmte Arbeit, die dank Smartphone, Tablet oder Laptop nicht mehr an bestimmte Orte oder geregelte Zeiten gebunden ist. Vor allem jüngere Beschäftigte schätzen Homeoffices oder Coworking-Spaces, wo crossfunktionale Teams an kundenzentrierten Projekten arbeiten und die betrieblichen Hierarchien so flach wie möglich sind.“ Nach einer Umfrage des Berliner Trendence Instituts finden 94 Prozent der Young Professionals, dass sich durch flexibles Arbeiten ihr Berufs- und Privatleben besser vereinen lässt, und 79 Prozent geben an, dass ihre Arbeitgeber selbstverständlich Homeoffice-Arbeit erlauben – dort, behaupten 70 Prozent, seien sie produktiver als im klassischen Büro.
Die verschiedenen Ansätze von New Work hat das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (Fraunhofer IAO) in vier Felder unterteilt, die allerdings nicht trennscharf sind.
- Arbeite wo und wann du willst: Damit werden New-Work-Umsetzungsformen in Richtung örtlicher und zeitlicher Flexibilisierung charakterisiert.
- Jenseits der Organigramme & Silos: Umsetzungsformen in Richtung zunehmend agiler und projektbasierter Organisationsformen, über Abteilungs- und Ressortgrenzen hinaus.
- Meine Arbeit stiftet mir und anderen Sinn: New-Work-Formen, die den Wert und die Sinnstiftung von Arbeit herausheben und damit die Wertschätzung von Mitarbeitenden erhöhen.
- Jenseits der Hierarchie: Umsetzungsformen, die Führungsstrukturen verändern, durch Abbau von Hierarchie Macht neu verteilen und Zusammenarbeit und Selbstorganisation fördern.
Für eine vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales geförderte Studie untersuchten Fraunhofer-IAO-Wissenschaftler insgesamt 18 deutsche Unternehmen, die New Work bereits umsetzen. „Wir erlebten New Work bei einer Vielzahl unterschiedlicher Organisationen und nicht nur bei hippen Start-ups“, heißt es in ihrem Fazit, „zudem waren die Formen für einen breiten Belegschaftskreis geeignet und nicht nur für die digitale Boheme.“

Mit dem Etikett New Work kann Verena Augustin von der Kreativagentur IXDS nicht viel anfangen: „Wir agieren unternehmerisch, wie es auch andere Unternehmerinnen und Unternehmer tun – nur kollaborieren wir auf eine andere Art und Weise, nämlich kommunikativ und transparent.“ IXDS residiert in einem Hinterhof am Kreuzberger Paul-Lincke-Ufer und berät nicht nur Großkunden wie BMW, Bosch oder Siemens, sondern auch Start-ups bei der Entwicklung von Produkten und Services. Die wechselnden Teams aus Ingenieuren und Designern der Agentur mit rund 60 Mitarbeitern sind für die drei Hauptbereiche Technology, Business und Experience tätig, die von Directors geführt werden – ansonsten ist die Hierarchie flach.
Seit zehn Jahren hat auch IXDS eine Vier- Tage-Woche – eingeführt zunächst aus wirtschaftlichen Gründen. „Als dann genug Geld da war für die Fünf-Tage-Woche, hatten wir aber den Freitag im wortwörtlichen Sinn schätzen gelernt und wollten ihn nicht mehr aufgeben“, sagt Verena Augustin. Die Gehälter sind entsprechend angepasst, Überstunden werden selbstverständlich bezahlt. Obwohl man einen freundschaftlichen Umgang pflegt, einmal in der Woche ein Koch für die Belegschaft ein Mittagessen zubereitet, das in der offenen Küche an einer langen Tafel – dem Herzstück der Räumlichkeiten in einer ehemaligen Garage – serviert wird, „muss jeder funktionieren, weil wir hier Jobs machen und Umsatz generieren müssen“.
Jeden Monat lädt die Agentur zu einem morgendlichen Pre-Work-Talk im Open Space ein, dem Auditorium der Firma. Dort sprechen andere Gründer, Designer, Programmierer oder Kunden und deren Experten wie der Sounddesigner von BMW über ihre Projekte, über Trends und aktuelle Themen. Den Begriff New Work hat man bei IXDS durch den Begriff Organisational Design ersetzt. Verena Augustin: „Wir stellen dabei eine zentrale Frage: Wie schaffen wir es, dass unsere Beschäftigten Lust auf ihre Arbeit haben und ihre Stärken ausspielen?“ Und wenn man die Menschen und deren Bedürfnisse und Vorlieben kenne, sei es relativ einfach, die Organisation der Arbeit darauf zuzuschneiden. „Deshalb haben wir Leute einstellen können, die eine Festanstellung immer gescheut haben. Auf dem kreativen Talentemarkt Berlin ist das ein wertvoller Vorteil.“ Solche Organisational Designs entwickelt die Agentur auch für andere Unternehmen und Einrichtungen wie etwa das Goethe-Institut.

Raus aus der starren Ordnung
Auch die Zehlendorfer Management-Beratung Kluge + Konsorten unterstützt Unternehmen bei der – nicht nur digitalen – Transformation. „Neue Modelle partizipativer Zusammenarbeit kommen ohne die starre Ordnung der Hierarchie aus und regeln Kommunikations- und Entscheidungsprozesse anders“, sagt die geschäftsführende Gesellschafterin Sabine Kluge, „das ist für viele traditionelle Organisationen erst mal eine unvorstellbare Disruption, die nur in kleinen Anpassungsschritten vorankommt, weil sie so viel ändert und infrage stellt.“ Gerade junge und hoch qualifizierte Fachkräfte wollten in anderen Freiräumen und mit anderem Sinngefühl arbeiten. „Und sie sorgen mit vernetztem Arbeiten über Funktions- und Hierarchiegrenzen hinweg für eine höhere Produktivität.“
Sabine Kluge, die nach 16 Jahren als Learning & Development Expert bei Siemens 2018 in die Firma ihres Ehemannes Alexander einstieg, erläutert an einem typischen Beispiel, wie Kluge + Konsorten bei einem Versicherungsunternehmen mit rund 1.000 Mitarbeitern einen neuen „Way of Work“ entwickelt haben: „Unsere erste Amtshandlung war, ein funktionsübergreifendes Team aus Personalwesen, IT und interner Kommunikation zu moderieren und hier immer wieder für Konsens zu sorgen – gemeinsam haben wir einen neuen, individuell auf den Reifegrad und das Geschäftsmodell der Organisation abgestimmten Weg von Führung, Entscheidung und Zusammenarbeit entwickelt.“ In diesem Fall habe auch die Einführung einer Kollaborationssoftware dazugehört.
„Wir haben Multiplikatoren ausgebildet, die die neuen Wege der Zusammenarbeit vorleben und ihre Kollegen coachen“, so Geschäftsführerin Kluge, „wir haben die Nachwuchskräfte auf die neue Arbeitskultur eingeschworen und bei den Führungskräften Mitstreiter angeworben – und immer wieder den CEO sowie die Arbeitnehmervertretung eingebunden, um klarzumachen, dass Transformation nur möglich ist, wenn möglichst viele mitmachen.“ Alle mitzunehmen, das könne allerdings nicht gelingen, es gebe eben auch Mitarbeiter, die sich in partizipativen Systemen nicht wohlfühlen. „Dafür brauchen wir kreative Lösungen, wie wir diese so einbinden, dass sie konstruktiv fürs Unternehmen erhalten bleiben.“
Wie der Aufbruch gelingen kann, zeigt sich für Sabine Kluge am Beispiel eines früheren Staatsunternehmens: „Bei der Deutschen Bahn gibt es bereits 100 selbstorganisierte Teams, die auf Augenhöhe arbeiten, ihre Führungskräfte auf Zeit wählen und gemeinsam entscheiden.“ Bei der Bahn wird auch das New-Work-Instrument Working Out Loud (WOL) genutzt, das weniger mit Lautstärke als mit Offenheit und Transparenz funktioniert. „Working Out Loud ist die Fähigkeit und Bereitschaft, Wissen zu teilen“, sagt Expertin Kluge. „Wann immer wir Mitarbeiter dazu befähigen, im Rahmen des WOL-Programmes über ihren Tellerrand hinaus mit Kollegen aus anderen Funktionen zusammen zu lernen und zu arbeiten, ergeben sich daraus gemeinsame Projekte auf Arbeitsebene, die aus Sicht des Unternehmens für Kreativität, Innovation und Produktivität sorgen und aus der Sicht der Mitarbeiter viel Spaß und viele Aha-Effekte mit sich bringen.“ Die Berliner Stadtreinigung habe bereits Beschäftigte aus allen Ebenen „WOLlen“ lassen. Mit dabei seien auch die Messe Berlin, die Berliner Sparkasse, Pfizer, Bayer sowie das Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Und auch Siemens habe kürzlich in Siemensstadt 100 Mitarbeiter so vernetzt.

Auswirkungen auf die ganze Organisation
Ein weiteres Großunternehmen, das New Work implementiert hat, ist die Deutsche Kreditbank AG (DKB) mit insgesamt rund 3.990 Mitarbeitern und Hauptsitz in Berlin. Sie spezialisierte sich frühzeitig als Partner von Unternehmen und Kommunen auf zukunftsträchtige Branchen wie erneuerbare Energien, Gesundheit oder Bildung. Die mehr als 4,1 Millionen Privatkunden können ihre Bankgeschäfte online erledigen. In der digitalen Transformation geht die 1990 gegründete Bank mit Innovationen voran – und arbeitet mit jungen Fintechs und Non-Banks zusammen.
Schon 2016 hatte die DKB das Fraunhofer IAO um Unterstützung gebeten, weil sie ihren Beschäftigten zeit- und ortsflexibles Arbeiten ermöglichen wollte. „Denn dass ein Banker jeden Tag in seinem Büro arbeitet und alle drei Wochen mal einen Kunden besucht, entspricht nicht der Realität“, sagt Christian Liedtke, der New-Work-Experte der DKB. „Die Kolleginnen und Kollegen an den verschiedenen Standorten sind regelmäßig und dauerhaft bei den Kunden, mit denen auch Verträge direkt abgestimmt werden.“ Die Flexibilisierung habe Auswirkungen auf die Mitarbeitenden, die Führungskräfte, aber auch auf die Organisation im Ganzen. Führung auf Distanz zum Beispiel ist Ergebnis dieser neuen Form der Arbeit.
Im Projekt „FlexWork“ arbeitet Liedtke mit Dr. Josephine Hofmann vom Fraunhofer IAO zusammen. „Wir konnten sehen“, sagt sie, „dass sich ,FlexWork‘ positiv auf die Mitarbeiterzufriedenheit, die Arbeitgeberattraktivität und die Produktivität auswirkt.“ Josephine Hofmann und Christian Liedtke erarbeiteten eine Meilenstein-Planung und bezogen Betriebsrat und Geschäftsführung von Anfang an ein. „Wir hatten die Möglichkeit, ,FlexWork‘ und Vertrauensarbeitszeit in eine nationale Initiative zu integrieren, nämlich in die Lern- und Experimentierräume des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales“, sagt Liedtke.
„Solche Change-Prozesse sind immer ergebnisoffen“, ergänzt Josephine Hofmann, „da muss man viel ausprobieren, wobei auch mal was schiefgehen kann – wir können nicht über die Köpfe der Mitarbeitenden hinweg per PowerPoint anweisen.“ New Work sei nicht in erster Linie eine Wohlfühlveranstaltung, weil es, gerade in der Banken-Branche, klare Anforderungen des Marktes gebe. „Es geht darum, die größere Arbeitsflexibilität sowohl mitarbeiter- als auch kundengerecht zu gestalten.“
Führungskräfte hätten nicht mehr die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass alles funktioniert, sondern müssten einen Prozess moderieren, in dem sie gemeinsam mit den Mitarbeitenden Verantwortung übernehmen. „Wenn die Beschäftigten souveräner über ihre Arbeitszeiten und -orte entscheiden, müssen sie das natürlich auch verantwortlich tun.“ Josephine Hofmann, die auch an der Fraunhofer-New-Work-Studie maßgeblich beteiligt war, hat die Erfahrung gemacht, dass das Verantwortungsbewusstsein in den Belegschaften generell sehr hoch und damit auch ein Vertrauensvorschuss gerechtfertigt sei. „Das offene orts- und zeitflexible Arbeiten ist zudem ein echter Digitalisierungsbeschleuniger“, sagt Christian Liedtke, „weil dabei auf Papier weitgehend verzichtet werden muss.“
Die Unternehmenskultur der DKB sei durch die Maßnahmen neu geformt worden, „weil allein das generelle Duzen einen familiären Touch ins Unternehmen gebracht hat“, sagt DKB-Sprecher Tobias Campino-Spaeing. Die Mitarbeitenden begäben sich durch die neue Freiheit in ihrem Arbeitsalltag viel stärker in den Dialog, „viel mehr Leute arbeiten cross-funktional miteinander, die vorher keine Berührungspunkte hatten – und davon profitieren nicht nur die Beschäftigten, sondern das ganze Unternehmen“. Zudem zahle „FlexWork“ positiv auf die ohnehin gute Gesundheitsquote von 95 Prozent bei der DKB ein, „weil alle Akteure durch die zeitliche Flexibilität auch in sich selbst investieren können – ob es Sport ist, Bildung oder Zeit mit der Familie“.