Mit viel Leidenschaft wirbt Gabriele Scharni für eine Ausbildung zum Kaufmann oder zur Kauffrau für Versicherungen und Finanzen. Der Beruf biete viel von dem, was sich die Altersgruppe der 16- bis 30-Jährigen wünscht, ist die Leiterin der Schulungsabteilung bei der Debeka in Berlin überzeugt. „Die Generation Z kann als Versicherungsvermittler bei uns schnell Verantwortung übernehmen und gleichzeitig eine ausgewogene Work-Life-Balance finden. Dazu gibt es eine Vielzahl an Weiterbildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten.“
Kontaktieren Sie unsere IHK-Experten

Allerdings ist es in Zeiten von Corona schwierig, jungen Menschen persönlich den Beruf näherzubringen. Karrieremessen oder Bewerbertage sind im ersten Halbjahr 2020 zum großen Teil ausgefallen. Auch die Schulen oder die Jugendberufsagentur standen nicht im gewohnten Umfang als Multiplikatoren bereit. Die Konsequenz: Trotz verschiedener Aktivitäten konnte die Debeka in der Hauptstadt bisher nicht alle Lehrstellen besetzen. „Neben kreativen Lösungen bei der Akquise von Auszubildenden ist jetzt auch ein gewisses Maß an Flexibilität sowohl auf Unternehmensseite als auch bei Ausbildungsinteressierten gefragt“, betont Gabriele Scharni. „Das bedeutet, dass bei uns auch junge Menschen willkommen sind, die sich eigentlich für einen anderen kaufmännischen Ausbildungsberuf entschieden oder ihren Ausbildungsplatz aufgrund der Krise verloren haben.“
Downloads & Links
Solch ein Engagement hilft der Berliner Wirtschaft. Denn die derzeitige Situation stellt alle Beteiligten auf dem Ausbildungsmarkt vor große Herausforderungen. Dies zeigen die Ergebnisse einer Umfrage der IHK Berlin unter Mitgliedsunternehmen zu den Auswirkungen von Corona auf die Ausbildung. „Zwar bilden die meisten Ausbildungsbetriebe auch in der Krise weiter aus“, erklärt Stefan Mathews, Bereichsleiter der IHK Berlin im Geschäftsfeld Bildung & Beruf. „Allerdings können nicht alle Unternehmen so viele Ausbildungsplätze anbieten, wie noch Anfang des Jahres geplant.“
Gerade in den Branchen, die besonders hart von der Corona-Pandemie betroffen sind, ist die Nachfrage nach Auszubildenden geringer. Dazu gehören die Hotellerie und Gastronomie, aber auch Reiseunternehmen und die Messebauer werden in diesem Jahr weniger ausbilden. „Klar muss aber auch sein: Viele Betriebe suchen händeringend nach Auszubildenden“, so Bildungsexperte Mathews. „Deswegen ist es zum Start des Ausbildungsjahres besonders wichtig, flexible Einstiegsmöglichkeiten in das neue Berufsschuljahr zu finden, pragmatische Lösungen zur Belebung des Ausbildungsmarktes im Angebot zu haben und bei der Nachvermittlung von Ausbildungsplätzen bis weit in den Herbst hinein nicht nachzulassen.“ Dies gilt umso mehr, da es in der jetzigen Situation ungeheuer schwierig ist, Jugendliche mit bislang fehlender Ausbildungsperspektive zu aktivieren.

Bereits den ganzen Sommer unterstützt die IHK Berlin sehr intensiv Ausbildungsbetriebe und junge Menschen auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz beim Matching. Dafür hat die Kammer die Kampagne #ZukunftAusbildung ins Leben gerufen. Hinter diesem Schlagwort stehen unterschiedliche Angebote, bei denen der persönliche Kontakt erst einmal nicht im Vordergrund steht, aber Jugendlichen dennoch die Chance eröffnet wird, direkt mit Unternehmen ins Gespräch zu kommen.
Zu den Formaten gehört eine erstmals im August gemeinsam mit der Handwerkskammer Berlin und dem Start-up „talentefinder“ ausgerichtete virtuelle Ausbildungsmesse. Die Idee dahinter: In einer im Stil einer Dating-App aufgebauten Applikation sorgt zu Beginn ein gegenseitiges Matching für ein effizientes Kennenlernen von Azubis und Arbeitgebern. „Der aktuell größte Vorteil virtueller Recruitingevents gegenüber physischen Events ist, dass sie überhaupt durchführbar sind“, erzählt Florian Chitic, Mitgründer von talentefinder. „Hier besteht also ein Weg, auch trotz Corona miteinander in Kontakt zu treten, sich kennenzulernen und letztlich den Wunscharbeitgeber bzw. die neuen Azubis zu finden.“
Unabhängig von Corona bieten digitale Recruitingevents aber auch weitere Vorteile. Für angehende Azubis sind dies zum Beispiel, sich in einem gewohnten Umfeld, nämlich in der digitalen Welt, zu bewegen. So fällt der Erstkontakt zum potenziellen Arbeitgeber häufig leichter, da das Internet durch die Anonymität einen gewissen Schutz bietet. „Ein weiterer Pluspunkt, der für beide Seiten gilt, ist die Möglichkeit, unabhängig von geografischer Entfernung an Recruitingevents teilzunehmen“, fügt Florian Chitic hinzu. „So können Berliner Unternehmen auch Azubis in München oder Hamburg ansprechen und andersherum, ohne Reisezeit und -kosten auf sich nehmen zu müssen.“ Diese virtuellen Matching-Formate werden auch bei zukünftigen Ausbildungsmessen der IHK Berlin – zum Beispiel bei der jährlichen Nachvermittlungsaktion im Herbst – ein fester Bestandteil sein.
Azubis im gewohnten digitalen Umfeld
Auch das Feinkostunternehmen Lindner möchte gerne im Jahr des 70. Jubiläums alle angebotenen Ausbildungsplätze besetzen. „Covid-19 hat an unserem Engagement nichts geändert: Die Ausbildung genießt bei uns im Familienunternehmen einen hohen Stellenwert und Priorität“, erklärt Julian-Alexander Schieke. Nach Überzeugung des Ausbildungsleiters von Lindner beschleunige die Pandemie zwar den Wandel im Azubi-Recruiting, und das Unternehmen versuche, vermehrt über digitale Angebote junge Menschen mit Interesse an einer Ausbildung anzusprechen. „Entscheidend im Marketing-Mix bleiben aus unserer Sicht dennoch die persönliche Ansprache und der Kontakt mit potenziellen Azubis, Eltern und Lehrkräften, etwa durch langfristige Schulkooperationen, Betriebspraktika oder Tage der offenen Tür.“ Schließlich betont er die wichtige Rolle der eigenen Auszubildenden bei der Akquise von Azubis. „Egal ob online oder offline: Bei allen Aktivitäten, die wir durchführen, werden wir unsere Azubis einbinden, denn sie können am authentischsten über die Ausbildung berichten und Fragen rund um das Thema beantworten.“

Die Beispiele verdeutlichen, dass auch jetzt die Frage hochaktuell bleibt, wie Unternehmen passgenau junge Menschen für eine duale Ausbildung gewinnen können, um die eigene Zukunftsfähigkeit zu gewährleisten. Wesentlich für den Erfolg ist die Entwicklung einer auf das eigene Unternehmen zugeschnittenen Strategie beim Azubi-Marketing. Auch für kleine und mittlere Unternehmen kommt es darauf an, die eigene Zielgruppe genau zu kennen und junge Menschen mit der richtigen Ansprache zu erreichen. Dabei zeigen die vergangenen Monate einen Trend: In Zeiten von Fachkräftemangel und Kontaktbeschränkungen wächst die Bedeutung digitaler Kanäle bei der Akquise neuer Auszubildender. Zu den Klassikern zählt in diesem Zusammenhang die IHK-Lehrstellenbörse. Sie bringt Jugendliche, auch per App, auf der Suche nach einer Ausbildung und Unternehmen zusammen. Ausbildungsbetriebe können bei diesem Angebot übrigens nun auch selbst Bewerberprofile sichten und diese kontaktieren.
Auch das Angebot „dein erster Tag“ eröffnet Ausbildungsbetrieben bei der Gewinnung von Auszubildenden neue Optionen. Das Format bietet Schülern die Möglichkeit, Arbeitsplätze und Arbeitgeber hautnah zu erleben. „Mit der VR-Brille tauchen sie in die Arbeitswelt ein und erleben etwa eine Baustelle von Frisch & Faust, die Ausbildung der Berliner Polizei oder die Warenlieferung bei der Drogeriekette dm am Tauentzien“, sagt Robert Greve. Er ist CEO und Gründer des in Berlin entwickelten Projektes. „So ermöglicht ‚dein erster Tag‘ Jugendlichen einen authentischen Einblick in ihren zukünftigen Berufsalltag.“ Die Form der virtuellen Rundgänge gibt den Schülern die Chance, viele verschiedene Eindrücke zu gewinnen und so eine qualifizierte Entscheidung zu treffen. „Damit verringern Ausbildungsbetriebe letztendlich die Abbruchquote – und verhindern Frust auf beiden Seiten“, betont Greve.
Ein gutes Beispiel, wie digitale Instrumente das Azubi-Marketing stärken, zeigt auch das Berliner Familienunternehmen LAT. „Wir sind beim Recruiting sehr aktiv, sprechen unsere Zielgruppe dabei auf Augenhöhe an, und zwar auf deren Kanälen“, erklärt Larissa Zeichhardt. Hierbei profitiert der Betrieb von Partnerschaften mit Berliner Start-ups. „Unter anderem nehmen wir über die App JobUfo Videobewerbungen entgegen und verzichten auf das traditionelle Anschreiben“, fügt die Geschäftsführerin des Elektromontageunternehmens hinzu. „Zudem nutzen wir schon seit einiger Zeit Microsoft Teams für Online-Interviews, um zu erfahren, ob die Bewerber digital affin sind.“ Insgesamt läuft nicht nur der Bewerbungsprozess bei dem Ausbildungsbetrieb digital.
Ansprache auf allen Kanälen
LAT versucht, auch die betriebliche Ausbildung in diese Richtung zu modernisieren. Dafür startet das Unternehmen etwa gemeinsam mit „simpleclub“ Lernvideos für die Online-Nachhilfe bei der Ausbildung. Zu den Inhalten der Lern-App zählen Grundlagen in Mathematik, Physik und Chemie, aber auch Videos für die Berufe Mechatroniker, Elektriker und zu berufsübergreifenden Themen stehen nun für Azubis bereit. „Mit der Lern-App erhöhen wir die Qualität der Ausbildung“, betont Larissa Zeichhardt, „gleichzeitig unterstützen solche Projekte unseren Einsatz für das gemeinsame Ziel der Berliner Wirtschaft, dass die duale Ausbildung wieder häufiger eine bewusste und attraktive Karriereentscheidung junger Menschen wird.“
Berichtsheft wird zur Online-Plattform
Mittlerweile gibt es eine Reihe digitaler Bildungsangebote, um junge Menschen auch während der Ausbildungszeit auf die zukünftige Arbeitswelt optimal vorzubereiten. Dazu zählen verschiedene Technologien, neue Lernmethoden oder für das Lernen bestimmte Online-Angebote. Damit ist einerseits die Hardware wie etwa Tablets und VR-Brillen gemeint, andererseits auch die Software, also beispielsweise Lernmanagementsysteme oder Apps. Daraus ergeben sich viele neue Gestaltungsmöglichkeiten des Lernens, die zeit- und ortsunabhängig sind und dadurch selbstständigeres Lernen im eigenen Rhythmus sicherstellen.

So schreiben beispielsweise die Auszubildenden beim Restaurantbetreiber AmRest Coffee Deutschland, Lizenznehmer von Starbucks in der Bundesrepublik, das Berichtsheft digital. Auf der dazugehörigen Plattform besteht zugleich die Möglichkeit, Fachberichte, Bilder und Arbeitsblätter hochzuladen. Mit einer zusätzlichen Quizfunktion können die Lehrlinge das bereits Erlernte noch einmal wiederholen und vertiefen und dabei jederzeit auf ein digitales Lehrbuch zugreifen. Zu dem digitalen Angebot zählen darüber hinaus virtuelle Trainingsworkshops und eine interne Lernplattform, bei der sich Interessierte durch E-Learning-Programme, Lernvideos oder Schulungsunterlagen Wissen aneignen können. „Da der Einsatz von digitalen Medien bei den jungen Leuten heutzutage zur Normalität gehört, muss man sich als Unternehmen an die zukünftigen Generationen anpassen, um sie auch digital zu erreichen“, ist Sascha Kohnke überzeugt. „Auch ältere Generationen können durch die Digitalisierung nur profitieren, da sie an die neuen Techniken herangeführt werden“, ergänzt der für die Ausbildung bei AmRest Coffee Deutschland zuständige Fachmann.
Selbstständiges E-Learning
Auch der Baustoffhändler Dämmisol nutzt ein E-Learning-Programm für einzelne fachliche Inhalte in der Ausbildung. Nach einer dreitägigen Schulung werden die Auszubildenden für die Baustoffkunde zum E-Learning freigeschaltet und arbeiten dann selbstständig die Baustoffmodule ab. Im Anschluss wird dazu immer ein Online-Test abgelegt, den der Betrieb kontrolliert. „Das ist für uns sehr hilfreich, da wir zum einen sicher sind, dass sich das Lernniveau regelmäßig und systematisch verbessert, und zum anderen die Leistungsfähigkeit in Testsituationen geprüft werden kann“, sagt Carsten Schöneich. Er ist Geschäftsführer der Dämmisol Baustoffe GmbH in Berlin. Das E-Learning wird von allen Auszubildenden gut angenommen und parallel zu den Präsenz-Produktschulungen im Unternehmen genutzt. „E-Learning kann aus unserer Sicht aber nur sehr eingeschränkt Produkt- und Wissensschulungen vor Ort ersetzen, auch wenn es sich in der aktuellen Situation aufdrängt, das E-Learning-Angebot zu erweitern“, sagt Schöneich. „Anfassen, ausprobieren, fachsimpeln und sich austauschen sowie auch mal links und rechts vom Weg schauen sind für eine gute Ausbildung einfach zu wichtig.“
Eine bedeutende Rolle für eine optimale Vorbereitung von Auszubildenden auf die zukünftige Arbeitswelt spielen auch die Berufsschulen. „Durch die aktuelle Situation und den kompletten Berufsschulausfall vor den Sommerferien würden wir uns als Firma, aber auch alle unsere Auszubildenden und natürlich vorneweg unsere Ausbilder freuen, wenn die Berufsschulen qualitativ guten und regelmäßigen Online-Unterricht anbieten würden“, erklärt der Geschäftsführer des Baustoffhändlers. „Erstaunlich finden wir, dass Angebot und Qualität des Online-Unterrichts von Oberstufenzentrum zu Oberstufenzentrum extrem unterschiedlich sind.“
Die Digitalisierung bietet übrigens nicht nur beim Azubi-Recruiting oder während der Ausbildungszeit eine Vielzahl an Chancen und Möglichkeiten. Auch bei der abschließenden Prüfung kann sie ein Plus an Qualität für Auszubildende wie für Ausbilder darstellen. Dies beweist ein bundesweit einmaliges Pilotprojekt der IHK Berlin, bei der mündliche Prüfungen mit Erfolg erstmals online stattfanden, ohne dabei den Prüfungsablauf zu verändern. „Die digitale Prüfung ist eine sehr gute Alternative zur Präsenzprüfung“, findet Klaus Scheelk, teilnehmender Prüfer des neuen Angebotes. „Damit können die Prozesse beschleunigt und auch die Ressourcen aufseiten der Prüfer und der IHK optimiert und geschont werden.“
Auch die Prüflinge des ersten Online-Termins zeigen sich begeistert. „Meine Erwartungen haben sich zu hundert Prozent erfüllt“, so Valentin Kopf, Azubi bei dem Berliner Mittelständler „moontelecom“. „Ich hoffe, dass die IHK Berlin und auch andere prüfende Stellen diese Präsentationsform in Zukunft weiter durchführen werden, denn ich kann sie nur allen noch kommenden Prüfungsteilnehmern empfehlen.“