Eine Krise ist auch eine Zeit für gesellschaftlichen Fortschritt. Gleichstellung und das Verfolgen aktiver Gleichstellungspolitik gehören dazu. Es darf nicht passieren, dass ambitionierte Frauen durch die Corona-Krise zurückgeworfen werden und entstehende Führungslücken durch Männer besetzt werden. Damit verlieren sie nicht nur an Gleichstellungserfolgen der letzten Jahre, sondern ebenso an Innovationsfähigkeit und einem wichtigen Stück Wirtschaftskultur.
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Die Flexibilisierung von Arbeitszeitmodellen ist für Unternehmen ein erster proaktiver Ansatz. Dabei reicht die Gestaltungsmöglichkeit von Teilzeitmodellen, Gleitzeit, Funktionszeit bis hin zu Wahlarbeitszeit. Die Initiative „Chefsache“ ermittelte, dass sich 76 Prozent der Dual-Career-Paare flexible Arbeitszeitmodelle wünschen und 64 Prozent die Möglichkeit des ortsunabhängigen Arbeitens begrüßen.
„Wir haben positive Erfahrungen mit Langzeitkonten zum Stundensammeln und entsprechendem Freizeitausgleich gemacht“, erzählt Larissa Zeichhardt, Geschäftsführerin der Elektromontagefirma LAT, im Rahmen des Online-Erfahrungsaustausches der IHK Berlin zum Thema Female Leadership. Ebenfalls helfe der Dialog, so Zeichhardt, wenn beispielsweise die Kita erst um 10 Uhr öffnet. Dafür wurden bei LAT Vertretungspläne eingeführt, die auch kurzfristig Flexibilität ermöglichen. „Wir haben gemerkt, dass es Männern nach wie vor schwerfällt, das Thema Teilzeit zu thematisieren, und Einzelentscheidungen durch Druck im Team erschwert werden“, sagt Zeichhardt, die auch stellvertretende Vorsitzende im IHK-Ausschuss Bildung, Fachkräfte und Arbeitsmarkt ist.
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Die Berliner Wasserbetriebe gehen hier einen neuen Weg: „Teilzeit heißt bei uns jetzt Vollzeit-Flex und wird mit einem Anteil von 30 Prozent im Unternehmen sehr gut angenommen. Wir haben die Umbenennung gewählt, da Teilzeit in der männlichen Belegschaft oft negativ konnotiert ist“, erklärt Kerstin Oster, dortige Vorständin für Personal und Soziales/Informationstechnologie. Die AllBright Stiftung hat nachgewiesen, dass viele Betriebe eine Pfadabhängigkeit in ihrem Recruiting aufweisen, wodurch qualifiziertes weibliches Fachpersonal oft ausgeschlossen wird. Diese Pfadabhängigkeit, die auf lange Sicht zu „group thinking“ führt, gilt es zu durchbrechen. Es mangelt dem Unternehmen dadurch an frischen Ansätzen, und die Innovationsfähigkeit wird eingeschränkt. „Laut dem Frauen Karriere Index stellen 100 Prozent der Unternehmen eine höhere Veränderungsbereitschaft fest, wenn Teams gemischt sind. Das ist gerade hinsichtlich Resilienz in Krisenzeiten enorm wichtig“, sagt Larissa Zeichhardt.
Unternehmen können auch proaktiv bei der Sichtbarkeit von weiblichen Führungskräften vorangehen – ein Thema, das unumgänglich mit Rollenvorbildern verknüpft ist. So etwa, indem sie weibliche Präsenz bei wichtigen Kernprozessen erhöhen. Für die Außerdarstellung bedeutet das: Besser einmal mehr der weiblichen Führungskraft aus dem mittleren Management eine Plattform geben, als immer den (männlichen) Geschäftsführer wählen. Spezielle Laufbahn- und Netzwerkmöglichkeiten fördern Frauen ebenfalls. Die Berliner Wasserbetriebe haben in diesem Jahr ihr Female-Leadership-Programm #einfachmalmachen gestartet: „Wir wollen Frauen mehr Sichtbarkeit, bessere Netzwerkmöglichkeiten und die Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle ermöglichen“, erklärt Kerstin Oster. Auch Teilzeitpositionen mit Optionen zum hierarchischen Aufstieg zu verknüpfen und eine vorurteilsfreie Leistungsbeurteilung einzuführen, fördert die Gleichstellung im Unternehmen. Denn obwohl Frauen sich beruflich anspruchsvolle Ziele setzen, sind sie gleichzeitig immer noch diejenigen, die überproportional der familiären Fürsorgepflicht nachkommen. So übernehmen Frauen in Deutschland, wie auch im OECD-Vergleich, nach wie vor die Mehrheit der Erziehungs- und Pflegearbeit.
„Unternehmen können zu mehr Chancengleichheit beitragen, wenn sie beiden Geschlechtern gerade in der ‚Rushhour des Lebens‘ mehr zeitliche Flexibilität gewähren“, erklärt Gender-Ökonomin Elke Holst vom DIW. An dieser Stelle kann Jobsharing eine Möglichkeit sein, im Tandem bzw. Team, der Personalführung und Leitung großer Projekte nachzugehen.
Die Politik muss gezielt Anreize setzen, um den Erwerbsumfang von Frauen und Männern im Rahmen der Familiengründung nicht zu weit auseinanderklaffen zu lassen. Die Abschaffung des Ehegattensplittings wäre hilfreich, ebenso wie die Förderung einer partnerschaftlichen Aufteilung der Hausarbeit. Unterstützt werden kann dies beispielsweise mit der Einführung der Familienarbeitszeit und einer Ausweitung der Vätermonate bei der Erziehungszeit. „Es ist fast unmöglich, jemanden in Elternzeit zu beschäftigen und dabei fair zu entlohnen, ohne dass deren Elterngeld gekürzt wird. Hier muss die Politik dringend etwas ändern“, appelliert Zeichhardt. Man könne einer Führungskraft schließlich keinen 450-Euro-Job anbieten.
Ebenfalls ist der sowohl quantitative als auch qualitative Ausbau von Kitas ein wichtiger Schritt. An die Erfahrungen der Corona-Zeit, in der viele Väter zwangsläufig stärker in Care-Arbeit eingebunden waren, muss jetzt angeknüpft werden. Neben der Politik können auch Unternehmen diesen Wandel unterstützen: „Bei uns gehen 24 Prozent der Väter länger als zwei Monate in Elternzeit, und wir tun alles dafür, dass sie in Zukunft länger gehen“, sagt Kerstin Oster von den Berliner Wasserbetrieben. Als Unternehmen sei man gefordert, hier proaktiv zu unterstützen und einer traditionellen Rollenverteilung entgegenzuwirken.